Sonntag bis Mittwoch
Vater. Ich habe nicht die Absicht, Mutti anzurufen. Oder ihr zu telegraphieren. Oder ihr zu schreiben.« Es gipfelte in einer Herausforderung. »Das ist deine Sache.«
Anne wartete, und ich quetschte ein »Danke, Tochter« heraus.
Anne fuhr fort: »Glenn, ich muß dir nachher etwas sagen. Nicht wegen Vater. Wegen … mir. Etwas, was vielleicht wichtig ist.« In ihren Augen stand die Frage, ob ich ahnte, was sie meinte. »Ich habe beschlossen, daß es nur eine Art zu leben gibt.«
Sie hatte natürlich recht. Aber wie sie da vor mir stand, zutiefst verletzt und fassungslos, sah ich nicht Anne, sondern Lydia. Und mit neuer Gewißheit wußte ich, daß ich Lydia niemals die Wahrheit gestehen konnte.
»Nur eine Art zu leben, Vater« – Annes Stimme bebte gefährlich –, »wie du sie mich gelehrt hast. Nicht, wie du sie mir vorführst!«
»Anne!« Diesmal packte Glenn behutsam ihre Arme und schob sie zu dem Sessel, in den sie mit weichen Knien hineinsank, ohne ihren umwölkten Blick von mir zu lassen. »Jetzt ruh dich erst mal aus und trink dein Glas leer.« Sein Ton war vor Liebe und Zärtlichkeit heiser, aber von einer Festigkeit, die mir an ihm neu war. »Dad muß weg, und ich werde ihn zum Wagen begleiten. Dann komme ich zurück. Ich habe dir auch etwas zu sagen. Verstehst du?«
Endlich schlug sie die Augen nieder. Dann betrachtete sie Glenn, als hätte er auch sie überrascht. Sie runzelte die Stirn. Dann huschte ein vertrauter Ausdruck über ihr Gesicht, Widerspruchsgeist.
»Ich bin gleich wieder da«, sagte Glenn. »Und dann wirst du mir zuhören.«
Sein Versprechen galt mir, aber seine Entschiedenheit verwandelte ihre Rebellion in ein seltsames Lächeln: Staunen und Zufriedenheit. »Ay, ay, Kapitän«, antwortete sie – aber hinter dem Spott lag frauliche Dankbarkeit. Sie nippte am Glas und fuhr fort: »Liebling, ich habe noch etwas beschlossen.«
»Später«, wehrte Glenn ab und setzte sich in Bewegung.
»Glenn –« Und als er stockte: »Egal, wohin sie dich zur Ausbildung schicken, ich komme mit.«
Glenn warf mir einen Blick zu, als errate er meine Gedanken. Aber diesmal irrte er sich.
»Anne«, mischte ich mich ein, »wenn ich etwas dazu sagen darf, ich finde deinen Entschluß sehr weise.«
»Dich habe ich nicht gefragt!« Ihre Augen funkelten. »Ich weiß selber, was ich tue.«
Ich nickte. Wir wußten beide, daß dies das Ende eines Abschnitts war, der nun der Vergangenheit angehörte. Ein Knoten war durchtrennt oder entwirrt worden, und trotz unseres Kummers hatten wir auf widersprüchliche Weise eine neue Freiheit erlangt.
Mit einer gewissen Trauer im Ton sagte sie reglos: »Ich frage nicht, was mit deiner Hand passiert ist. Aber du mußt mir versprechen, noch heute Dr. Wilder aufzusuchen.«
Sofort fiel mir Arnolds Ausspruch ein. Sie ist wirklich ein prächtiger Mensch. Damit meinte er Lydia. In der Nacht von Annes Geburt.
»Ich verspreche es«, antwortete ich.
Nun erhob sie sich, nickte, wandte sich ab und schritt zum Haus – nicht hüpfend wie sonst, sondern mit fraulicher Würde.
Als sie in der Tür verschwunden war, ging ich zur Auffahrt, Glenn hinter mir.
»Du willst in die Wohnung zurück, nicht wahr?« fragte er.
»Lydia kommt heim. Morgen, vielleicht schon heute.«
»Großer Gott! Möchtest du, daß ich mitkomme?«
Ich setzte mich hinter das Steuer und schaute zu ihm auf.
Er schüttelte den Kopf. »Ich könnte Anne jetzt nicht allein lassen.«
Ich startete den Motor, wieder sehr befriedigt.
»Augenblick noch –«
»Ja, Glenn?«
»Ich … ich weiß nicht, ob der Zeitpunkt geeignet ist. Aber vielleicht ist dir dann wohler. Oder –« Er zögerte, kam dann zu einem Entschluß. »Der Grund, warum Anne so eingeschnappt war, als du gestern nicht zum Geburtstagsdiner erschienen bist, lag darin, daß sie sich so darauf gefreut hatte, es dir selbst zu sagen. Sie erwartet ein Kind.«
Ich blickte an ihm vorbei zum Haus: Anne war nirgends zu sehen.
Glenn lachte leise. »Es ist schon merkwürdig, wie das Leben spielt: Ich werde eingezogen und soll töten, während Anne –« Und nach einer Pause: »Zerbrech dir ihretwegen nicht den Kopf. Ich werde es ihr schon begreiflich machen.«
In seinen Augen las ich, daß es ihm gelingen würde. Er lächelte wieder, und mir erschien sein Lächeln echt und herzlich, voll von Leben und Hoffnung und Zuversicht.
»Das glaube ich auch«, sagte ich.
»Wirst du dich an diesen Chenery wenden?«
»Ich weiß noch nicht.« Ich wollte
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