Sonntag bis Mittwoch
drehte am Thermostat, schaute auf die Skala. Zwanzig Grad, unmöglich! Wo, zum Teufel, steckte Welch? Ich mußte auf die Bank.
Gerade als ich die Sprechtaste für Phoebe betätigen wollte, führte sie ihn herein und fragte ihn, ob er auch eine Tasse Kaffee wollte. Colin Welch bedankte sich übertrieben, als hätte sie ihm eine besondere Ehre erwiesen, und Phoebe verschwand. Welch und ich schüttelten einander die Hand, er nahm mir gegenüber Platz und steckte sich eine Zigarette an.
»Tut mir leid, daß ich in Eile bin«, sagte ich, »also sparen wir uns die Vorreden. Ich möchte, daß Sie mir die ganze Geschichte von Anfang an erzählen, wie Sie sie in Erinnerung haben. Fangen Sie eine Stunde bevor Sie sich ans Steuer setzten an. Ich werde Sie nicht unterbrechen, aber hinterher ein paar Fragen stellen. Einverstanden?«
»Sie sind der Rechtsanwalt«, erwiderte Colin Welch mit einem schwachen Versuch, witzig zu sein. Dann räusperte er sich und begann zu sprechen.
Ich machte mir einige Notizen, während er redete, sah, wie sein dünner Schnurrbart zuckte, und hörte ihm zu, als er mit seiner leisen, deutlichen Stimme alle Einzelheiten unter gelegentlichen Abschweifungen in Nebensächliches beschrieb. Der Fall war abscheulich, wie die meisten Fälle von Fahrerflucht, aber Mr. Welch war bei einer Gesellschaft versichert, die wir vertraten. Wie konnte man Achtung oder gar Sympathie für einen Mann aufbringen, der einen anderen Menschen auf nächtlicher Straße anfährt, selbst wenn das Opfer – und das war noch nicht endgültig erwiesen – verkehrswidrig vom Bürgersteig auf die Fahrbahn gelaufen war, und der dann im vollen Bewußtsein seiner Tat weiterfährt? Mr. Welch behauptete immer wieder mit erbitternder Monotonie, daß er das Opfer überhaupt nicht, auch nicht schemenhaft, gesehen hatte.
»Es gab ein fürchterliches, dumpfes Krachen vorn am Wagen. Das Geräusch werde ich mein Lebtag nicht vergessen!«
»Und dann?« drängte ich ungeduldig.
»Dann – na, dann bin ich wohl auf das Gaspedal gestiegen.«
»Wohl?« Das Zimmer war voll Rauch.
Ich wartete. Mr. Welchs schmales Gesicht bebte, sein Kinn zitterte, und er holte tief Luft, was wie ein Schluchzen klang. »Ich habe Gas gegeben«, sagte er entschlossen.
Anschließend war er nach Hause gefahren, hatte den ganzen Abend ferngesehen, ohne seiner Frau ein Wort zu sagen. Er nannte die Stücke im Spätprogramm und gestand kleinlaut, als sei das von Bedeutung, er hätte sich bis zur Bewußtlosigkeit betrunken.
»Aber vor dem Unfall hatten Sie nichts getrunken?«
»Das ist es doch!« jammerte er. »Wie oft soll ich das noch wiederholen –«
Ich stand auf und ging hin und her. Das Büro war wie eine Sauna. »Mr. Welch, ich kann Ihnen nur helfen, wenn Sie die reine Wahrheit sagen. Begreifen Sie das?« Auf- und abzugehen war eine Gewohnheit, die ich zu Beginn meiner Praxis abgelegt hatte, weil sie ängstliche Klienten noch nervöser macht, aber heute nahm ich sie mit steifen Beinen wieder auf. »Der Fall ist schwierig, wie Sie sich denken können.«
»Wollen Sie damit sagen, daß ich lüge?«
»Ich will gar nichts sagen, ich will Ihnen nur weiteren Kummer ersparen. Sie haben ein Strafverfahren vor sich, und ein Zivilprozeß schwebt ebenfalls. Sollten Sie mir jetzt die volle Wahrheit verschweigen, dann kann sie später unter viel ungünstigeren Umständen ans Licht kommen, möglicherweise vor Gericht. Ich kann Sie weder verteidigen noch richtig beraten, wenn Sie mir nicht absolutes Vertrauen schenken.«
»Ich dachte, Sie stünden auf meiner Seite«, sagte Mr. Welch.
Sind Gesetze wirklich, Paps?
Ich knirschte mit den Zähnen. Der Rauch stieg mir quälend in die Nase. Wie sollte ich ihm erklären, daß es meine Aufgabe war, alle relevanten Tatsachen so zu präsentieren, daß sie im besten Fall zu einem Freispruch meines Klienten führten?
»Es ist ja kein Totschlag oder so etwas«, fuhr Mr. Welch fort. »Er wird wieder gesund. Ich meine, auch wenn er ein Krüppel bleibt, sterben wird er nicht.«
»Kann ich eine Zigarette haben?« fragte ich unvermittelt.
Mr. Welch fummelte in der Tasche herum. »Selbstverständlich, selbstverständlich.«
Phoebe klopfte an die Tür und betrat mit einem Tablett das Zimmer, als ich die Zigarette anzündete. Phoebe starrte mich an, ohne ihre Verwunderung ganz verbergen zu können, servierte und ging. Die Zigarette schmeckte nicht so scharf wie die, die ich nachts geraucht hatte. Im Gegenteil, noch nie hatte ich eine
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