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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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Dafür stand mit der volle Gegenwert zu.
    Der Gedanke stammte nicht von mir. Von einem Fremden. Keinesfalls von mir – wer ich auch sein mochte.
    Und dann waren wieder alle Gedanken wie ausgelöscht.
    Als ich das nächste Mal aufwachte, erfüllte graues Morgenlicht den Raum. Sie lag mit gelösten Gliedern und halboffenem Mund im Dämmerschein. Ich spürte keine Begierde, nur das Grauen eisiger Verachtung. Nur Scham. Und mein Kopf wollte zerspringen – vor Schmerzen, einer auf- und abebbenden Benommenheit, Schwindel. Ich brauchte eine Zigarette.
    Wieder einmal.
    Mit dem Bewußtsein stellten sich wieder die unausweichlichen Fragen ein. War mir eine andere Wahl geblieben? Ich hatte mein Leben und meine Karriere auf der Annahme aufgebaut, daß sich jeder Mensch zu jeder Zeit frei entscheiden kann. Wie konnte es sonst irgendeine Rechtsprechung geben –
    Mein Gott, ich brauchte eine Zigarette!
    Da hörte ich, wie sich unten ein Schlüssel im Schloß drehte. Lydia? Die Tür ging auf.
    Mein Herz tat einen Sprung und setzte dann völlig aus.
    Panik katapultierte mich zur Tür.
    Im Wohnzimmer unten brannte noch Licht. Und Wilby stolperte aus der Diele in die Bibliothek. Betrunken? Oder noch schlimmer? Was machte es schon aus? Es war nicht Lydia. Wie kam ich nur auf die Idee, es könnte Lydia sein?
    Schlaff am Türrahmen lehnend, beobachtete ich Wilby beim Betreten der Bibliothek. Muß den Charlie finden, Paps. Hatte er ihn oder es gefunden? Was, zum Teufel, war überhaupt der Charlie? Er warf die Tür hinter sich zu.
    Wo hatte Wilby den Wohnungsschlüssel her?
    Ich ging über die Galerie zum anderen Schlafzimmer, meinem und Lydias. Ohne das Licht einzuschalten, fand ich einen Morgenrock im Schrank. Auch da keine Zigaretten: Lydia hatte mit mir zusammen das Rauchen aufgegeben.
    Lydia. Ich durfte, konnte nicht an sie denken.
    Barfuß stieg ich die Treppen hinab. Mein Gang war unsicher, meine Beine schmerzten, und ich mußte mich am Geländer festhalten. Ich war nicht mehr betrunken, aber ich war es gewesen. Das erklärte alles. Das konnte jedem passieren. Wenn ich nicht so viel getrunken hätte, wo ich es doch nicht gewöhnt war –
    Das Wohnzimmer erinnerte mich an Städte, die ich im Krieg überflogen hatte: verwüstet. Damals war meine Sucht nach Zigaretten ebenso stark gewesen wie heute. Vor einem Feindflug, aber noch stärker hinterher.
    Tatsächlich sah das Wohnzimmer nicht schlimmer aus als nach einer Party, wenn ich Lydia überredete, die Unordnung bis zum Morgen zu lassen – entweder, weil sie mir zu müde erschien oder weil ich mit ihr schlafen wollte.
    Was hatte Lydia einmal von ihrem Vater gesagt? Er redete sich immer auf seine Schwäche heraus, als wäre Schwäche an sich bereits ein Entschuldigungsgrund. Als wäre er von einer Krankheit besessen, die ihn zwänge, hinter jedem Weiberrock auf drei Kontinenten herzujagen … Ich hob eine zerknüllte Zigarettenschachtel vom Boden auf. Sie sah leer aus, aber als ich sie mit zitternden Fingern aufriß, entdeckte ich eine letzte, zerdrückte Zigarette. Ich steckte sie mit dem silbernen Feuerzeug an und sog den ätzenden Rauch tief in die Lunge. Mir wurde schwach dabei, fast schlecht.
    Ich mußte unbedingt duschen.
    Nach einer Nacht mit Lydia hatte ich nicht das Gefühl, mich waschen zu müssen. Im Gegenteil, ich fühlte mich wohl, verjüngt. Aber jetzt kam ich mir leer, erschöpft und zum Kotzen vor.
    Ich schleppte mich die Treppen hinauf, schloß behutsam die Tür des Gästezimmers, ohne hineinzuschauen, und ging dann in das Bad neben meinem Schlafzimmer.
    In den schrägen Strahlen der ersten Morgensonne, die durch das Milchglasfenster fielen, betrachtete ich mein Gesicht im Spiegel. Vertraut, und doch die Züge eines Fremden. Die haselnußbraunen Augen, sonst klar und von einer reservierten Freundlichkeit, starrten blutunterlaufen, traurig-feindselig und verständnislos. Statt der üblichen frischen Röte zeigten meine Wangen heute Blässe. Aber sonst sah das Gesicht wie immer aus: kantig und mit ausgeprägten Zügen, darüber dunkelbraunes, kurz geschnittenes Haar mit einem Schimmer von Grau an den Schläfen. Ein Durchschnittsgesicht, weder hübsch noch häßlich, durchschnittlich wie mein untersetzter, aber muskulöser Körper, dem man normalerweise die fünfzig Jahre nicht ansah.
    Ich wandte mich ab, angeekelt von mir selber. Ich trat unter die Dusche und drehte den Kaltwasserhahn voll auf. Es verschlug mir den Atem, und mein Körper bekam unter den

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