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Sonntag bis Mittwoch

Sonntag bis Mittwoch

Titel: Sonntag bis Mittwoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Hayes
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guten Manieren, ebenso amoralisch, vom Grund auf desinteressiert, rücksichtslos und egoistisch wie Jenny? Auf seine Weise ebenso skrupellos wie Wilby? Es steckte noch mehr dahinter. Wilby, bärtig, schmutzig, sadistisch, vielleicht geistesgestört, zeigte sogar jetzt noch mehr echte Anteilnahme am Gang der Welt, als Lee Gray jemals aufbringen würde. Sogar Wilbys Proteste, sein Widerspruchsgeist, sein Zorn und seine leidenschaftliche Ohne-mich-Einstellung enthüllten mehr Sinn für Gerechtigkeit, als Lee Gray, Volljurist, zuzutrauen war.
    Es klopfte.
    Ich rührte mich nicht. Ich konnte jetzt niemand sehen.
    Es klopfte wieder. Was nun? Mach die Tür auf. Ich schreie, du hinterhältiger, besoffener –
    »Ich bin's, Mr. Wyatt. Phoebe.«
    Nicht Jenny. Phoebe – die wohl nie gelernt hatte, ein Schloß mit dem Messer zu öffnen.
    »Herein.«
    Hinter mir ging die Tür auf, fiel zu.
    »Mr. Wyatt – kann ich irgend etwas für Sie tun?«
    »Was, zum Beispiel?«
    »Ich weiß nicht. Irgend etwas. Ein Aspirin?«
    »Ja, bitte.« Warum war mir das Naheliegende nicht eingefallen? Bewegung hinter mir: raschelnder Rock, gedämpftes Klappern der Absätze. »Mr. Wyatt, jeder säuselt sich mal einen an, wie man in Portland sagt.« Klirren des Glases, dann das Gurgeln des Wassers aus der Karaffe. Phoebes Stimme sanft, gewollt heiter: »Warum nehmen Sie sich nicht den Tag frei? Besuchen ein Baseballspiel? Das tun die andern im Büro ja auch, nur Sie –«
    Ich wandte mich um. Warme Augen, mütterlicher Blick, umwölkt von Besorgnis. Ein krampfhaftes Lächeln. Ich schwieg.
    »Das scheint unsere Lebensart zu sein. Ich las in der TIMES am Sonntag einen Artikel darüber. Beruhigungsmittel und Alkohol sind aus dem amerikanischen Leben nicht wegzudenken.«
    Ich nahm die beiden Aspirintabletten. Ihre Hand war kühl, fast kalt. Dann das Glas.
    »Es ist aber schon immer so gewesen. Sogar die Indianer, und die Eingeborenen sonstwo – wahrscheinlich versucht jeder, sich das Leben leichter zu machen. Haschisch und Opium und alle möglichen Wurzeln und Kräuter. Sogar Kaktus.« Ein Achselzucken. »Warum sollten wir uns das Leben nicht auch erleichtern?«
    Das kalte Wasser konnte nicht den Brand in meinem Inneren löschen. Die Tabletten blieben mir bitter in der Kehle stecken, ehe sie sich auflösten.
    Phoebe lächelte, ein leeres Lächeln, und merkwürdig verloren. Mir wurde klar, daß ich kaum etwas von ihr wußte. Bei Phoebe, nicht wahr? Der guten, alten Phoebe Waldron? Wie konnte Wilby ihren Namen erfahren haben?
    »Ich bin eine wandelnde Apotheke, Mr. Wyatt. Ich habe Beruhigungspillen in meiner Handtasche. Und Schlaftabletten. Sie sagten einmal, Sie hätten in Ihrem Leben noch keine Schlaftablette genommen, aber es gibt Zeiten –« Ihre Stimme wurde leiser.
    »Nein, danke, Phoebe.« Ich gab ihr das Glas. »Aber hätten Sie zufällig eine Zigarette? Meine sind schon wieder zu Ende.«
    »Das wollte ich Ihnen noch sagen. In der obersten Schreibtischschublade liegt eine Stange.«
    Phoebe konnte nichts mit Leuten wie Wilby und Jenny zu tun haben. Was hatte sie dabei zu gewinnen?
    »Sind Sie sicher, daß ich nicht doch etwas für Sie tun kann, Mr. Wyatt?«
    Ich schüttelte den Kopf. Nichts, außer mir zu erklären, wie Wilby auf ihren verdammten Namen gekommen war!
    »Mr. Brant sagte, er käme zu Fuß und würde Sie dort treffen.«
    Ich muß die Stirn gerunzelt haben. Mein benebeltes Gedächtnis funktionierte schon wieder nicht. »Zu Fuß? Wo will er mich treffen?«
    »Zum Mittagessen, Adam. Steht auf Ihrem Terminkalender.«
    Adam. Phoebe hatte mich noch nie beim Vornamen genannt. War es ihr jetzt überhaupt bewußt geworden?
    »Es ist fast zwölf, Mr. Wyatt.«
    Ich nickte.
    Was ging eigentlich vor? Was war los?
    »Wie ich Euch ausgeglichenes Volk ohne Magengeschwüre beneide«,seufzte Henry und ließ seinen Blick durch den dunkel getäfelten Grillraum schweifen, »obgleich man sagt, ein Magengeschwür sei der Beweis für überdurchschnittliche Sensibilität.«
    Vermied er meinen Blick, während ich Platz nahm? Warum?
    »Ich habe für uns je einen bestellt. Völlig gegen Arnolds Anordnung, aber was soll man machen.«
    Ich starrte auf die gelbliche Flüssigkeit, das Kristall des schwimmenden Eiswürfels.
    »Na, das ist doch deine Marke, oder nicht? Als ob ich es nicht wüßte. Jeden Tag einen vor dem Mittagessen und Gott weiß wie viele abends, deinem Aussehen nach zu urteilen.«
    »Ich glaube, ich bekomme eine Grippe«, erwiderte ich dumpf,

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