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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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und
gosier.
Ihre Konversation war knapp und wiederholte sich ständig. In der Hauptsache ging es dabei immer um die Jagd, um Wüstenratten und Felsenkrabben, die in den Nischen und Spalten des trockenen Gesteins hausten. Durch die spezielle Form ihres Mundes war Therese in der Lage, mit ihrem Kiefer die Schale einer Krabbe zu knacken, aber kaum fähig, ihren eigenen Namen auszusprechen. Für viele andere gilt das gleiche.
    Für meine Begriffe roch sie wie Mr. Crii, und doch wieder anders: stechend, aber nicht so säuerlich wie er. Wenn man sich daran gewöhnt hatte, roch man sogar eine Art Süße heraus. Aber Thereses Manieren waren rüde. Sie war rücksichtslos, kümmerte sich nicht um die winzigen Jungen, die draußen in der Klippe hingen, obwohl Bruder Jude sagte, ein paar davon seien ihre Kinder. Manchmal stürzten die Kleinen ab, ehe ihre Flügel kräftig ausgebildet sind, erzählte er mir voller Mitleid. »Sie kehren zu Jesus zurück«, meinte er.
    Therese putzte sich und machte daraus ein großes Spektakel. Das Kleid, das sie trug, war eines, das ihnen der Leuchtende Bogen empfiehlt. Wie der Sari einer Inderin wird es um den Oberkörper und unter den komplizierten Schultern herumgewunden. Therese lief immer drei oder vier Tage in demselben Kleid herum, erst achtsam, dann immer sorgloser, zerriß es meist in einem Kampf und verlor es schließlich ganz, wenn sie mit einem Jagdschwarm in die Canyons flog. Manchmal kam sie tagelang nicht nach Hause, und wenn sie schließlich wieder auftauchte, schien sie alles vergessen zu haben. Ich verzweifelte fast an ihr. Sie saß dann mit weit offenem Mund und gerecktem Hals in der Sonne, stank nach Blut und Schmutz und spreizte häufig triumphierend die Flügel.
    Bruder Jude kannte sie gut. Er wußte, welche Hymnen er singen mußte, um sie zu beruhigen; er wußte ihren Kopf über den Ohren zu streicheln, bis sie ihm erlaubte, ihr verfilztes Haar zu bürsten und sie wieder anzukleiden. »Thérèse versteht mich«, sagte er zu mir. Mir wurde bald klar, wie unmöglich sein Vorhaben war – und ich wußte, daß ich von Bruder Jude nichts zu befürchten hatte. Liebe Leser, ich begann sogar, ihn zu bemitleiden.
    Er ließ mich aus Magazinen und Traktaten in Französisch vorlesen und vor den Klassen, die er zu unterrichten versuchte, die Bibel zitieren. Er gab mir die intelligenteren Schüler wie Thérèse, Rachel, Elise und einen schlaksigen Jungen namens Gaston, damit ich ihnen mit den Buchstaben half. Häufig verteilte er kleine Geschenke wie ein Stück Obst oder ein Likörbonbon an die, die wenigstens etwas gelernt hatten. In Toussous und seiner öden Umgebung trieb er immer wieder neue Dinge auf, um ihre Aufmerksamkeit und ihren Eifer wachzuhalten: eine Banknote mit dem Bild einer geflügelten Siegesgöttin, Stücke von fossilem Holz aus längst vergangener Zeit, die Bilder im Katalog eines Exporteurs mit den Namen und Preisen der Waren darunter. Drei oder vier Engel hörten eine Zeitlang zu, sprangen dann plötzlich auf und flogen davon. Ein anderes Mal wieder zeigten sie sich interessiert und wiederholten brabbelnd, was er ihnen erzählt hatte. Trotzdem verstanden sie es immer falsch. Thérèse beharrte wegen der Geschichte mit dem Stall darauf, daß Jesus von einer Kuh geboren worden war, und Frankreich hielt sie für ein fernes Land auf dem Mars. Von anderen Welten wollte sie partout nichts wissen, wie alle ihre Artgenossen überhaupt.
    Bruder Jude dagegen war überzeugt, daß seine Bemühungen bei ihnen Spuren hinterließen – »wie ein steter Tropfen Wasser den Stein höhlt«. Häufig sank er auf die Knie, warf die Arme hoch und betete inbrünstig. »Laß mich ein Regentropfen in der Wüste sein, Herr!« Ich lachte ihn aus und lief zu meiner Höhle. Mein Lachen war grausam, aber dies hier war nun mal ein grausamer Ort.
    Die Höhle, die ich die meine nannte, lag ganz in der Nähe von seiner, ein paar Stufen oberhalb in der Felswand hinter einer kleineren, die als Laden diente und ständig verschlossen war. Anfangs schlief ich in dem Laden, aber die Engel, die in der nächsten Höhle wohnten, warfen einen langen Blick auf mich und flogen davon, um niemals wiederzukehren. Nach einigen Nächten wurde ich frecher und inspizierte die verlassene Höhle. Sie hatte eine niedrige, rußgeschwärzte Decke. Der hintere Abschnitt war vollgestopft mit Palmblättern und Moos – ein überraschend warmes und weiches Nest. Die Innenseite hatten die Engel mit

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