Sophies Kurs
Estranguaro öffnet den Mund und zeigt seine spitze, purpurfarbene und sehr feuchte Zunge.
»Habe ich nicht selbst darauf geachtet, daß sie vor allen anderen Sachen verladen wurden?«
Das Paar hat gestritten, aber jetzt will Miss Halshaw Ruhe haben. Sie streicht ihm zwischen den Hörnerstümpfen über das Haar, ruft: »Toby, was sollte ich ohne dich bloß anfangen?« und strahlt den Steward an, während die Kutsche den Waldweg entlang zum Aeyrie rumpelt. Die schweren Blüten hier übertreffen in ihrer Farbenpracht sogar das Kleid von Miss Halshaw.
Sie kommen gerade noch rechtzeitig. Die Glocken läuten, und alle Gäste sind schon versammelt – eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft. Da sind vornehme Gentlemen, frühere Offiziere der großen Yacht
Sophrona,
die steif mit dem dunkelhäutigen Captain des Kreuzers
Giaconda
und der Mannschaft des schweren Frachtklippers
Appleby Bull
Konversation treiben. Drei französische Nonnen aus einem Orden auf dem Mars stehen abseits und betrachten entsetzt eine Abordnung aus einem Pub in London – und, was noch schlimmer ist, aus einem Pub vom falschen Ufer des Flusses. Zum Glück bleibt diese fröhliche Gruppe von Fischweibern und Marktschreiern unter sich.
Der Steward wirft einen Blick auf seine Liste. Die Ehrenplätze sind schon von einer Mrs. Rodney, ihrem Sohn John, der Tochter Gertrude und ihrem Mann Norman besetzt. Mrs. Rodney fühlt sich offenbar in ihrer Krinoline nicht sonderlich wohl, sagt ständig, wie glücklich sie ist, und vergießt zahlreiche Tränen. An außerirdischen Gästen gibt es da eine Caeruleäner-Familie, die so laut kreischt und zwitschert, daß der Steward froh ist, sie nicht in die Kapelle führen zu müssen, außerdem noch eine große, fette Eidechse, die behauptet, den Bürgermeister von High Haven zu vertreten. Auch hat der Steward einen seiner eigenen Leute gesehen, der einen merkwürdigen Hut trug und sich intensiv mit einem dürren, fast schwindsüchtigen Sternenfahrer unterhält. Die Gilde hat eine prächtige Abordnung geschickt, obwohl auffallend viele der älteren Mitglieder nicht erschienen sind. Die Kadetten füllen die ersten drei Reihen, die Frauen sehen sehr schick aus mit ihren pastellfarbenen Miedern unter den Uniformjacken.
Triumphierend braust die Orgel auf, und die Braut erscheint am Arm von Mr. Rodney. Sie sieht ein wenig blaß und befangen aus und hält die schönen großen Augen züchtig gesenkt. So viel öffentliches Aufsehen mißfällt ihr, das weiß der Steward. Er mag sie, sie hat immer ein freundliches Wort für ihn. Er ist sich sicher, sie wird sich besser fühlen, wenn alles vorüber ist und sie mit ihrem frischgebackenen Ehemann allein sein kann. Sie werden die ersten zwei Flitterwochen in Nizza verbringen und dann zum Mars fliegen, um an der ersten kaiserlichen Rundreise teilzunehmen – als persönliche Gäste des jungen Kaisers.
Nur wenig ist bis jetzt bekannt über den Bräutigam. Er ist erst am Morgen von einer Geschäftsreise für die Gilde im Centaur-System zurückgekehrt. Er hat noch Schwierigkeiten mit dem Gehen und benutzt daher einen Stock. Wie man erfuhr, ist er ein Privatmann aus Südfrankreich, und gemäß einem Artikel in
The Times
auch ein berühmter Maler. Seine Bilderserie marsianischer Landschaften hängt im Louvre. Man sagt, daß er die schon verloren geglaubte Miss Farthing auf dem Mars aufspürte und sie ihrem vornehmen entfernten Cousin vorstellte. Er selbst soll bei der schweren und tragischen Eruption, die das Haus auf Io zerstörte und den Hochmeister tötete, schwer verwundet worden sein.
Der Steward weiß mehr. Er kennt den Orden, aus dem der junge Herr kürzlich ausgetreten ist, und weiß, wie viele dieser anonymen, adrett gekleideten Herrschaften hier frühere Kollegen von ihm sind. Der Steward hatte einige Mühe, sie von der Heiligkeit der Kapelle zu überzeugen und sie dazu zu überreden, ihre auffälligeren Waffen in der Garderobe abzugeben.
Pflichterfüllung ist eine ernste Sache und nimmt keine Rücksicht auf Gefühle. Der Steward hört noch die Treueschwüre und sieht den Ring. Aber dann muß er sich um eine dieser Erdenfrauen kümmern, eine gewisse Miss Betty Pride, die vor Aufregung und infolge der ungewohnten Luft ohnmächtig geworden ist. Als er schließlich zum Empfangsraum zurückkehrt, muß er feststellen, daß die Caeruleamer die Kanapés mit körpereigenen Zutaten verdorben haben und durch nichts in der Welt davon abzuhalten sind, in die Blumentöpfe zu urinieren.
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