Sophies Kurs
Monster, das unter Wasser lebte. Eine dieser Gestalten war – für mich ziemlich enttäuschend – eine Art Taube, die zweite ein Mann, ein Zimmermann, was mich nicht überraschte, denn ich erinnerte mich der Männer auf den Plätzen von High Haven, die mit irgendwelchen Gegenständen herumwarfen und üble Töne von sich gaben, ohne dabei Rücksicht auf die jungen oder alten Frauen zu nehmen. Und wenn die Schwestern dann noch von
Notre Père
sprachen, sah ich immer nur Papa, wie er mit seiner Lampe durch das Ostdock ging, vor sich hinmurmelte und meinen Namen rief.
Jacob Farthing war immer noch der einzige Vater, den ich kannte, da mein wirklicher Vater es vorgezogen hatte, seine Existenz vor mir zu leugnen. Und wie Jacob Farthing ließen die Wehklagenden Schwestern mich von der Morgendämmerung bis nach Einbruch der Dunkelheit schuften – in der Küche, im Gewächshaus, in der Wäscherei, wo ich die Kleider der Schwestern und der Priester waschen mußte.
Ungefähr eine Woche verhielt ich mich ruhig, bis ich dann wieder rebellierte. Ich hockte mich mit dem Joch auf den schmerzenden Schultern vor den Brunnen und weigerte mich, einen zweiten Eimer hochzuziehen. Schwester Martha schickte mich zu Mutter Lachrymata, die mir erklärte, daß ich eine Lektion in Bescheidenheit nötiger bräuchte als in Latein. Ich erwiderte ihr, ich hätte alle Bescheidenheit gelernt, die es im Haushalt zu erlernen gäbe.
»Dann müssen wir für dich ein anderes Studienobjekt finden«, meinte sie und schwenkte ihre Glocke.
Sie führten mich nach draußen durch das große eisenbewehrte Tor von S. Sébastien auf einen Flecken, an dem der felsige Untergrund durch den Sand schimmerte. Dort befand sich eine Grube, ein Schacht, der direkt in den Boden gegraben war. Er war mit einem flachen rötlichen Felsstück verschlossen. Die Schwestern hoben es beiseite und ließen eine lange Leiter in die Dunkelheit hinunter. Dann befahlen sie mir hinabzusteigen. Als ich mich weigerte, überwältigten sie mich und stießen mich unter Knüppelschlägen hinunter. Unten angekommen stand ich auf einer dünnen Schicht trockenen Sandes, die den felsigen Untergrund bedeckte. Schwester Dominique rief mir von oben zu, ich solle über die schmutzigen, widerwärtigen Sünden nachdenken, die meine Seele bedrückten, und meinen hochmütigen Stolz ablegen. Danach zogen sie die Leiter hoch. Ich klammerte mich an den Sprossen fest, doch sie rissen mir die Leiter aus den Händen und schoben den Deckel über den Schacht. Lockerer Sand regnete mir in den offenen Mund und die Augen.
Wieder saß ich gefangen, und diesmal allein. Und wieder gab es kein Licht. Ich hatte kaum Platz, mich umzudrehen. Angst schnürte mir das Herz zusammen. Die Wände waren felsig, und doch konnte ich nirgends einen Halt für meine Füße finden. Bei den zahlreichen Stürzen zerschrammte ich mir Arme und Beine. Schließlich gab ich auf, hockte mich hin und fluchte laut. Wenig später begann ich zu weinen. Um die Tränen zurückzudrängen, holte ich tief Luft, atmete prompt Sand ein und mußte heftig husten. Danach begann ich wieder zu fluchen. Ich hatte ja jetzt eine ganze Menge neuer Leute, die ich verfluchen konnte.
Sie sehen, für mich bestand das Leben auf dem Mars nur aus einer Reihe von Löchern im Boden – genau wie Papa es mir geschildert hatte. Ich saß in der dunklen Grube und dachte an die
Unco Stratagem.
Von ganzem Herzen wünschte ich mich von dieser erbärmlichen Welt an Bord und auf eine endlose Reise – ohne von Wache zu Wache an mein wirkliches Ich denken zu müssen, ohne Furcht davor haben zu müssen, was mich am Ende der Reise erwarten mochte. Vermutlich hatte ich kaum Zeit gehabt, es zu bemerken, aber ich war auf diesem Schiff glücklich gewesen. Von meinem eigenen lächerlich mickrigen Gewicht auf den Boden eines ausgetrockneten Brunnens gebannt, lernte ich, daß die Welten dich allesamt in ihre Fallen lockten, hinunter in ihren Schlamm, und dich in ihre Eisen legten. Ich tat so, als sei ich wieder im Raum, und die Schwärze in der Grube sei die Leere zwischen den Welten. Ich stellte mir vor, ich machte Fahrt, und der Aether-Wind würde meinen Mantel blähen. Das ließ mich an die armen Engel denken, und der Sand begann wieder auf mich herabzurieseln, gelöst durch die Schallwellen meines Weinens.
Sehr reuig und lammfromm zogen sie mich wieder heraus. Ich sprach kaum ein Wort, sondern bedankte mich nur kurz mit leiser, heiserer Stimme. Ich hob meine entzündeten Augen
Weitere Kostenlose Bücher