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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Kinder, die im Orbit trieben. Das harte Dunkel und die Furcht machten mich krank, und ich verbrachte den ganzen Tag in einer Hängematte – natürlich festgeschnallt. Würden Sie das für möglich halten? Würde irgendeiner von Ihnen mir das abkaufen? Was für eine Haselmaus, werden Sie denken. Aber eines Tages werde ich ein eigenes Schiff haben und es die
Goldene Haselmaus
nennen, und es wird mich tragen, wohin ich will.
    Wissen Sie, Papa war nie Matrose gewesen, ist nicht mal zum Mond hinaufgesegelt. Was sonst, würde er sagen, hätten ihm Schiffe schon gebracht außer Unglück und Kummer? Trotzdem hatte er eine Tätowierung auf dem Arm – wie ein Seemann. Eine Frau mit Flügeln – ein Engel, hauchdünn bekleidet mit einem Nachthemd. Wenn Papa seine Muskeln spannte, konnte er die Engelfrau mit den Flügeln schlagen lassen. Unter ihren Füßen war ein gewundenes Schriftband mit ihrem Namen in die Haut geätzt: Estelle.
    Benny Stropes und seine Bande folgten mir zuletzt die St. George Street entlang und stellten mich in der Gasse hinter dem Zoll- und Verwaltungsgebäude. »Wieso hast du keine Mutter, Sophie Farthing?« fragte Kipper Morgan höhnisch.
    Ich drückte mich an die Wand und versuchte mich möglichst klein zu machen. »Meine Mutter ist ein Engel«, sagte ich.
    Sie grinsten oder lachten hämisch. »Wow – Sophies Mutter ist ein Engel!«
    »Und wo ist sie?« wollte Kipper wissen.
    »Sie ist tot.«
    Aber Jungs wissen immer alles besser. Sie schoben sich näher heran. »Dein Papi hat doch nie 'nen Engel geheiratet, Sophie Farthing«, brummte Benny Stropes. Klein Tib bohrte dabei vergnügt in der Nase. »Hätt er 'nen Engel geheiratet, wär er jetzt tot, nicht sie.«
    »Was meinst du damit«, fragte ich mit gepreßter Stimme.
    Die Jungs stießen sich an – sie hatten Übung darin –und Benny näherte seine grinsende Fratze meinem Gesicht. »Sie hätt ihn sich vorgenommen!« zischte er. »Sie hätt ihn genommen und noch mal genommen und so fertig gemacht, daß ihm das Gehirn aus den Ohren gespritzt wär.«
    Ich wußte zwar nicht, wovon er sprach, wußte nur, daß es schmutzig und gemein war. Ihre Obszönitäten machten mich ganz krank, und verzweifelt versuchte ich, von ihnen wegzukommen. Ich zog das Bein an und trat Benny Stropes mit Wucht gegen die Kniescheibe. Er heulte vor Schmerz und Überraschung laut auf, verlor das Gleichgewicht und fiel in voller Länge über Tib. Ich schoß durch die Lücke, rannte die Gasse bis zur Toomey Street hoch und versteckte mich in der stinkenden Kaverne hinter den Wasserrohren, bis sie verschwunden waren.
    Wieso konnte ich statt des Bildes, das ich lediglich von ihr besaß, nicht eine echte Mama haben? Wie war denn Benny zu seiner Mutter Mrs. Stropes gekommen? Über die Geburt wußte ich nichts, obwohl Papa mir laufend vom Tod erzählte. Sie hätte ja meine Mama sein können, seine Estelle, aber sie ging mit dem Wrack der
Hippolyta
unter. »Die beste Frau, die je lebte«, pflegte Papa mit kummervoller Miene zu sagen. »Und jetzt sagen sie, sie sei bei Gott.« Dann hieb er mit der Faust auf die Sessellehne. »Wenn das so ist, dann behaupte ich, daß Gott ein Dieb und Zuhälter ist – und beileibe kein Gentleman ...«
    Immer dann, wenn die Dinge am schlimmsten standen, kam Papa auf sie zu sprechen. Er betrank sich, bis ihm der Schweiß ausbrach und er zu zittern begann. Dann verfluchte er mich, weil ich nicht sie war. Oder er weinte und verlangte von mir, ihm zuzuhören und seine Worte genau zu wiederholen, als ob wir sie durch unsere beschwörenden Worte wieder zum Leben erwecken und auf diese Weise retten könnten.
    Estelle war natürlich kein Engel gewesen, als sie noch lebte, sondern eine menschliche Frau, die aus einer guten Familie stammte. Sie war schön und immer guter Dinge gewesen. Sie hatte lange blonde Haare gehabt, schöngeformte Hände und zierliche Füße. Sie war bescheiden gewesen und hatte gewußt, wann sie den Mund zu halten hatte – nicht wie dieses unerzogene Ding von Tochter, das faul und widerspenstig war und den ganzen lieben langen Tag nichts tat außer ihm Löcher in den Bauch zu fragen und seine Geduld zu strapazieren.
    Oh, ich glaube nicht, daß er mich wirklich haßte –aber Papa war im Lauf der Jahre verbittert und griesgrämig geworden, und außer uns beiden gab es niemanden. Selbst die Katze ging ihm aus dem Weg. Wenn es Papa überkam und er zur Teezeit aus dem Bett taumelte, floh Percy Hals über Kopf aus dem Raum, während Papa

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