Sophies Kurs
ich sehe, fliegst du jetzt also für den Hochmeister«, meint Dixon.
»Für den Handlanger des Hochmeisters«, knurrt Thrace. Ihm ist bewußt, daß Dixon dies sehr wohl weiß. »Auf der
Unco Stratagem«,
fährt er fort und ruft sich ins Gedächtnis, daß Dixon wie viele Freie ein eigenes Schiff besitzt. Die
Lory,
eine ansehnliche Brigg. Er spürt einen Anflug von Neid.
»Meinen Glückwunsch«, meint Dixon sanft und rührt den Sud im Teetopf. »Vermutlich hält man dich ganz schön auf Trab, wie?«
Captain Thrace überhört den anzüglichen Ton. Er kennt die Leute, die nur nach widerwärtigem Tratsch gieren. Im Lauf der Jahre haben sich zwar seine Aufgaben geändert. Trotzdem ist er auf seine Leistung stolz und steht der Vergangenheit loyal gegenüber. Außerdem erfährt Lord Lychworthy alles, selbst in der Abgeschiedenheit seiner Besitzungen auf Io, und ist ganz versessen darauf, jede Unbotmäßigkeit schon im Keim zu ersticken. Überall hat er seine Spione sitzen. Selbst sein Gegenüber hier könnte einer von ihnen sein. »H'rmm«, gurgelt Thrace und antwortet dann entschieden: »Mr. Cox will nach London, um dem Hohen Haus dort die Ansichten seiner Lordschaft zu der Ganymed-Sezession zu erläutern.« Er angelt eine Pillendose aus seiner Tasche und schluckt eine Pastille salpetersaures Salz.
Plötzlich taucht ein Engelspärchen aus der Tiefe unterhalb der Veranda auf und landet mit leichtem Plumps auf dem Geländer. Dort hocken die beiden in ihrer typischen enervierenden Art und putzen sich in dem brutalen Licht. Ihre Bewegungen sind fremd und animalisch. In gebrochenem Französisch rufen sie nach dem Steward. Ihre heiseren, klagenden Stimmen sind klanglos wie die Stimmen von Gehörlosen. Sie haben im Flug einen Vogel gefangen. Schlaff, mit gebrochenem Hals, hängt er an einer hornigen Kralle.
Das Paar ist sieben Fuß groß. Es trägt weiße Kilts aus Schnürleder ohne jegliche Insignien. Die Brust unterhalb des breiten Schlüsselbeins ist nackt, kräftige Schultern bewegen die riesigen weißen Auswüchse, die Flügeln von Schwänen gleichen. Ihre Gesichter sind katzenhaft, einem Panther ähnlicher als einem Menschen. Ohne Sichtschutz blinzeln ihre gelben Augen träge in das grelle Licht. Einige Engel sind Mitglieder der Gilde. Den beiden da schmeichelt das Licht der Venus: Sie wirken hier geschmeidiger als in ihrer ursprünglichen Heimat, das Federkleid glänzt stärker, und ihre straffe Haut ist braun wie die eines Gerbers.
Mit angewidertem Blick schlurft der Steward herbei. Die Engel wollen ihren Fang gegrillt serviert haben. Ihre Gaumen sind für die Konsonanten der menschlichen Sprache ungeeignet. Also recken sie das Kinn vor, als wollten sie die fremden Töne aus ihrem Kehlkopf herauswürgen.
Einer der Engel bemerkt Captain Thrace. Er senkt leicht einen Flügel und lächelt. Thrace weiß, daß es ein Lächeln sein soll, dieses Blecken der fleischfressenden Zähne, dieses Hochziehen und Senken der dicken, sinnlichen Lippen. Er steckt seine Pillendose ein und steht vom Tisch auf, wobei er nervös die Hände aneinanderreibt.
»Mr. Crii.«
KAPITEL II
...in dem ich mich vorstelle
Sehr geehrte Damen oder Herren – wer immer Sie sein mögen, gestatten Sie mir, daß ich mich vorstelle. Ich heiße Sophie Farthing. Jedenfalls war dies der Name, auf den ich hörte, als ich noch ein kleines Mädchen war. Es war der Name, den mein Vater, der nicht mehr unter uns weilt, immer rief, wenn er Essen, Drinks oder einen Zuhörer für sein Gejammer brauchte.
Es dürfte wohl in jedem Fall richtig sein, mit High Haven und dem Leben dort im Haus meines Vaters zu beginnen. Ich will versuchen, ordentlich der Reihe nach zu erzählen, was mir passierte und wie es sich zutrug. Ich habe lange gezögert, diesen Versuch zu wagen, so daß die Tinte in meinem Füller eintrocknete und ich darauf spucken mußte, um sie wieder zum Fließen zu bringen. Ausgerechnet ich, der ich so viele Botschaften, so viele Grüße und Wünsche und Bitten für andere formuliert habe – wo es um meine Geschichte geht, hocke ich vor dem Bogen Papier, starre darauf und weiß nicht, wie ich beginnen soll.
Denn auf High Haven ist eigentlich nie etwas Außergewöhnliches geschehen. Putzen, nähen, waschen, einkaufen und mich
abrackern –
das war meine Welt dort. Sonst gab es nichts für mich. Ich war ein Niemand, und ich kannte auch niemanden. Außer Percy, der Katze, und Kappi. Wenn Damen und Herren von Rang mir auf der Straße bei ihrem Spaziergang
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