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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich war sicher, daß ich nur irrtümlich hierhergebracht worden war – wahrscheinlich eine verrückte Idee von Miss Wigram.
    Ich deutete auf das Bild im Hintergrund der Aufnahme. »Die
Sophrona.«
    »So wunderschön. Vor der Milchstraße. Gelobt sei der Herr!«
    »Das ist mein Name.«
    »Wie war er doch gleich noch, meine Liebe?«
    »Sophrona, Ma'am.« Als ich ihn aussprach, war ich fest überzeugt, daß ich wirklich so hieß – und trotzdem klang der Name irgendwie falsch.
    »Miss Farthing kommt von High Haven« fügte Miss Wigram spitz hinzu.
    Mrs. Rose stieß einen Seufzer aus und krallte die Hand in die Bettdecke. Sie war noch blasser geworden und starrte mich voll Abscheu an, als sei ich ein schreckliches Monster und kein kleines Mädchen in einem viel zu weiten Mantel.
    »Sie!« kreischte sie. »Sie ist das? Die da? Mein Herz! Meine Sünde!«
    Mit einer schwachen Bewegung versuchte sie das Deckbett wie einen Schutzschild vor sich aufzutürmen. »Vergeben Sie mir in christlicher Barmherzigkeit – im Namen Jesu«, jammerte sie.
    Ich sah, wie Miss Wigrams Augen aufblitzten. Sie schien mit sich selbst sehr zufrieden zu sein, als habe sie endlich eine lästige Pflicht erfüllt.
    Ich nahm die Hand von Mrs. Rose in meine. »Ihnen vergeben, Ma'am? Was denn? Was haben Sie getan?«
    »Kaum entwöhnt, ging ich fort und ließ Sie allein. Oh, Miss Farthing ...«
    Es klopfte.
    »Ich bringe den Tee, Mrs. Rose«, rief Mrs. Peggley. »O ja, Tee, Tee! Gelobt sei der Herr!«
    Wir tranken Tee. Meine Hand hob die Tasse zum Mund, und mein Mund trank den Tee. Aber ich schwöre, ich merkte nichts davon.
    Diese verdorrte, kraftlose Kreatur war demnach also meine Mutter, und sie hatte mich im Stich gelassen. Sie hatte meinem Vater Schande bereitet, und er hatte deshalb niemals mehr von ihr gesprochen. Und ich war ihr Ruin geworden. Trotzdem – sie sah mich nicht gerade an wie eine Mutter, die ihre Tochter verloren und dann doch noch wiedergefunden hatte. Sie betrachtete mich wie ein Wesen aus einem schrecklichen Traum. Sie hatte ihre Hand aus meiner gewunden, und ich wußte nicht, was ich ihr sagen sollte. Am liebsten wäre ich sofort nach Hause gelaufen.
    Miss Wigram gab mehr Zucker in ihren Tee und verrührte ihn. Der Löffel klirrte gegen die Innenseite der Tasse.
    »Mrs. Rose«, begann ich.
    »Schön.« Sie unterbrach mich sofort. Ihre Lippen zitterten. »Ein schönes Schiff.« Sie streichelte das Foto. »Ich wurde angeheuert«, murmelte die alte Frau. »Für diese große Reise.«
    Ihre Stimme klang traurig. Aus ihr klangen Verlust und Niederlage – und Scham. Mrs. Rose nahm die Brille ab.
    Ich wartete angespannt wie eine Katze, die einen Vogel bei der Landung beobachtet.
    »Hart. Ach, so hart.« Eine Träne rollte über die Wange und fiel auf das Deckbett.
    Ich half ihr bei der Suche nach ihrem Taschentuch. Sie zerknüllte es vor der Brust.
    »Mrs. Rose«, sagte ich so beiläufig wie möglich. »Ich habe meine Mutter nie kennengelernt. Ich weiß nicht, was für ein Mensch sie war.«
    Sie nickte traurig. Ihr eingefallener Busen hob sich, als sie versuchte, sich zu sammeln. »Setzen Sie sich zu mir, Miss Farthing. Hier, auf das Bett. Bitte noch etwas Tee, Miss Wigram. Miss Wigram ist meine Zeugin. Nächstenliebe zeigt sich nicht in Missetaten, sondern in der Wahrheit.«
    Mrs. Rose sprach jetzt sehr schnell und abgehackt. Mit einer fahrigen Bewegung schob sie das Foto zurück in die Bibel, so daß es sie nicht mehr ablenken konnte. Mit der Hand glättete sie erneut das Deckbett und wandte sich mir zu.
    »Ich habe nicht immer hier gelebt, sondern drüben bei St. Paul's. Ich kannte sie zwar, aber nur aus den Klatschgeschichten. Sie wissen schon, die Nachbarn. Sie nannten sie Molly Clare.« Sie wedelte mit der Hand, als wolle sie etwas verscheuchen. »Ein lasterhaftes Gewerbe, Miss Farthing«, sagte sie streng. »Aber man muß christliche Nächstenliebe üben.«
    Ich sah, wie Miss Wigram die Stirn runzelte. Dies war ganz offensichtlich nicht die Geschichte, die sie erwartet hatte.
    »Eines Morgens, ich war gerade beim Packen, stand sie da. Sie hatte einen Korb dabei, hob ihn hoch und stellte ihn auf den Küchentisch. Darin lag ein Baby! Gesegnet sei sie, sagte ich, obwohl Babies für solche Frauen eher ein Fluch sind. Aber das wissen Sie sicher, Miss Farthing. ›Ich weiß, Sie gehen auf das Schiff‹, sagte sie zu mir. ›Ich weiß auch, daß High Haven Ihr erster Anflughafen ist.‹ – ›Das

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