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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Gedanken auszusprechen. Das Zimmerfenster war gegen den Nebel geschlossen, und Luft roch abgestanden und muffig.
    Miss Wigram setzte sich zu ihr auf die Bettkante. »Hallo, Mrs. Rose«, sagte sie laut, aber ohne Wärme. »Wir sind zurück.«
    »Gesund und munter. Gott sei Dank!« Mrs. Rose hob die Hand, als wolle sie Miss Wigrams Wange berühren, brachte die Geste aber nicht zu Ende. »Du siehst sehr gut aus, Ginny. So jung. Ich dagegen - aber natürlich.« Dabei sah sie an Miss Wigram vorbei auf mich. Ich konnte sehen, wie sie das Rätsel meiner Anwesenheit zu ergründen versuchte. »Und das ist deine ...«
    »Das ist Miss Farthing«, unterbrach die Jüngere sie. »Vom Lambeth.«
    »Meine Liebe, wie bezaubernd.« Mrs. Rose streckte mir die Hand entgegen. Die war so dürr wie ein Bündel Stöcke und steckte in einem schwarzen Netzhandschuh ohne Finger. »Und so nett«, sagte Mrs. Rose. Unter den dicken Linsen wirkten ihre Augen wie zwei grüne, in Glaskugeln schwimmende Fische.
    »Miss Farthing, ich hoffe, Sie entschuldigen die Umstände. Ich bin erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Hoch erfreut ...« Eifrig drückte sie meine Finger und begann dann an den Ecken des Deckbettes herumzunesteln. »Heutzutage hat man so wenig Gesellschaft. Es ist nicht mehr wie in alten Zeiten, das kann ich Ihnen versichern. Damals gab es noch große Leute, berühmte Damen und vornehme Herren ... Aber dort, zu dumm ...« Sie starrte mich an wie ein Navigator, der in einen tiefen Schlund späht. »Sie waren nicht dort, nicht wahr?« fragte sie vorsichtig. »Mit Miss Wigram? Mit Lord und Lady Plumstone, unseren hohen Herrschaften?«
    Ich schaute Miss Wigram verständnislos an und erwartete eine Erklärung von ihr, aber sie schwieg. Sie hatte sich inzwischen auf den einzigen Stuhl gesetzt, den Kopf an die Wand gelehnt und beobachtete uns.
    »Kennen Sie Mr. Cox?« fragte ich Mrs. Rose. »Mr. Cox von der Piloten-Gilde?«
    Sie sah mich unsicher an, als sei der Nebel in den Raum gedrungen und verwischte mein Gesicht. »So wenig Gesellschaft«, murmelte sie. »All meine Freunde«, fuhr sie fort und legte ihre Hand auf eine abgegriffene schwarze Bibel, die neben ihrem Kissen lag.
    Ich fragte mich, ob ihre Freunde alle tot waren, ob die Bibel vielleicht Geschichten über sie enthielt. Papa kam mir in den Sinn, der keine Freunde und keine Bibel besaß. Und ich hatte ihn alleingelassen.
    »Tut mir leid, Ma'am«, sagte ich.
    Mrs. Rose schien über diese Antwort erfreut. »Danke, meine Liebe. Ich höre Sie gut, aber mein Ischias – wissen Sie.«
    Ich sagte, ich wüßte es. Sie strahlte mich an, als hätte sie über ihre Behinderung triumphiert. »Vielleicht hat Miss Wigram Ihnen erzählt«, meinte sie und zeigte in die Richtung der jungen Frau. Aber sie sagte mir nicht, was Miss Wigram mir erzählt haben sollte, und, wie Sie wissen, hatte sie mir ja nichts erzählt.
    »Mrs. Rose hat früher für Lady Plumstone gearbeitet«, erklärte Miss Wigram knapp. Ihre Stimme klang hart und rauh in diesem kleinen stickigen Zimmer.
    Mrs. Rose rollte die Augen hinter ihren dicken Gläsern und sprach jetzt noch hastiger. »Meine Wohltäterin, Lady Plumstone.
    Sie ist sehr großzügig, Gott sei's gelobt.« Sie zeigte auf ihr kleines schmuddeliges Zimmer und den winzigen Kamin, wo auf dem mit Asche überhäuften Rost ein spärliches Kohlenfeuer glimmte.
    »So großzügig, Miss Farthing. Aber vielleicht hatten Sie ja schon die Ehre.«
    »Nein, ich ...«, begann ich.
    Doch Mrs. Rose unterbrach mich. Sie hörte mir überhaupt nicht zu, sondern wollte mir etwas zeigen. Ein Lesezeichen aus ihrer Bibel. »Ihre Lordschaften. Meine Wohltäter – in Person.«
    Das verblaßte, bräunliche Foto zeigte ein verheiratetes Paar von hohem Rang. Auf der einen Seite saß die Lady, doch ihr Kleid war so weit, daß man den Sessel nicht sehen konnte. Auf der anderen Seite stand ihr Gatte neben ihr. Er trug einen Hut auf dem Kopf und hatte die rechte Hand in die Westentasche gesteckt. Der gewichste Schnauzbart war von enormen Ausmaßen. Hinter ihnen an der Wand war das überdimensionale Bild eines Sternen-Schoners zu erkennen.
    Mrs. Rose drückte die Fingerspitzen auf das Foto, als würde sie das ihren Wohltätern näherbringen. »Ich danke Jesus dem Herrn«, sagte sie inbrünstig. »Aber natürlich wissen Sie es. Wie Miss Wigram war ich zu stolz, um Dienerin zu sein. Zum Glück.«
    Ich war benommen, mein Kopf voller Watte. Von unserem Gespräch hatte ich kein Wort verstanden und

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