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»Sorry, wir haben uns verfahren«

»Sorry, wir haben uns verfahren«

Titel: »Sorry, wir haben uns verfahren« Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Antje; Orth Blinda
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Passagierstrecke am 7. Dezember 1835 von Nürnberg nach Fürth trat eine Diskussion los, die aus heutiger Sicht skurril wirkt: Der damals rasend schnell wirkende Transport auf Schienen und seine Auswirkungen auf den Deutschen Bund waren durchaus umstritten – Delirium bei den Passagieren, die Strafe Gottes und Abwanderung nach Amerika wurden befürchtet. Ein buntes Pro und Contra:
    Ernst August II., König von Hannover (1771 bis 1851): »Ich will keine Eisenbahn im Lande! Ich will nicht, dass jeder Schuster und Schneider so rasch reisen kann wie ich!«
    Eisenbahn-Pionier Friedrich List, 1841: »Nur mit Hilfe ­eines deutschen Eisenbahnsystems vermag die gesellschaftliche Ökonomie der Deutschen zu nationaler Größe sich emporzuschwingen.« Es »vernichtet die Übel der Kleinstädterei und des provinziellen Eigendünkels und Vorurteils«.
    Johann Wolfgang von Goethe, 1828: »Mir ist nicht bange, dass Deutschland nicht eins werde; unsere guten Chausseen und künftigen Eisenbahnen werden schon das ihrige tun.«
    Gutachten eines Königlich Bayerischen Obermedizinalkollegiums, Mitte des 19. Jahrhunderts: »Ortsveränderungen mittels irgendeiner Art von Dampfmaschine« sollten verboten werden, da sie »bei den Passagieren die geistige Unruhe, ›delirium furiosum‹ genannt«, hervor­riefen. (Das Gutachten wurde in der Vergangenheit oft ­zitiert, heute bestehen Zweifel an der Echtheit.)
    Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl, 1851: Viele ­Bauern betrachten die Eisenbahn als »das letzte Wahrzeichen der himmelstürmenden Vermessenheit, mit welcher der übermüthige Mensch den ewigen Naturgesetzen Gottes eine Wette anbietet. Sie ist ihm der Thurmbau von Babel ins Neumodische übersetzt.« Und »der einfältige Bauer hat so seine eigenen Gedanken darüber, daß (die Strafe Gottes ähnlich wie in Babel) spät oder bald auch die Eisenbahnen treffen werde«.
    Ein Pfarrer aus Schwabach, vor der ersten Fahrt 1835: »Die Eisenbahn ist ein Teufelsding, sie kommt aus der ­Hölle, und jeder, der mit ihr fährt, kommt geradezu in die Hölle hinein.«
    Anonym, Erlangen, 1835: Der Verfasser fürchtet um ­Arbeitsplätze von Kutschern, Gast- und Landwirten und ­prophezeit: »Diese Furcht, erweckt durch die projektierten Eisenbahnanlagen, hat bereits [im bayerischen Rebnitztal] die Auswanderungslust nach Nordamerika so gesteigert, daß fast der halbe Teil jener Bevölkerung zum Abzug bereit ist.«
    Ludolf Camphausen, rheinischer Unternehmer und ­Politiker, 1844: »Das Eisenbahnfieber ist stärker als jemals, es grenzt an Wahnsinn.«



Kapitel 5
    Die lieben Mitfahrer:
    Â»Steigen wir vorne ein, dann sind wir früher da!«
    Jeder kennt die Situation: Man sitzt mehr oder weniger verschlafen im Zug, und plötzlich ist einer dieser wirklich albernen Klingeltöne zu hören: ein Kleinkind, das »Mama, Telefon« krächzt, der letzte Türkpop-Hit von Tarkan oder eine Polizeisirene. Für einen Moment ist deshalb die Freude groß, wenn es dem oder der Mitreisenden nach einigem nervösen Han­tieren mit Tasche und Handyschutzhülle endlich gelingt, das Gespräch anzunehmen. Doch nur für einen Moment. Denn dann folgt ein ungefragter Einblick in sehr persönliche zwischenmenschliche Probleme in Form sehr lautstarker Klagen und sehr wütender Beschimpfungen. Jedes Wort ist problemlos zu verstehen, Weghören unmöglich. Böse Blicke und zur Ruhe mahnende Gesten werden vom Handy-Schreihals ignoriert. Jetzt nicht, ist gerade wichtig. Eine solche Live-Hörspielausgabe von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« kann sich gut und gerne genauso lang hinziehen wie eine Episode der Vorabendserie, leider fehlen die Werbepausen zur Erholung.
    Einen rekordverdächtigen Handy-Marathon erlebten die Fahrgäste in einem US-Zug von Oakland nach Seattle im Mai 2011. Gleich nach ihrem Einsteigen um 22 Uhr begann eine Passagierin, in einem als »quiet train« gekennzeichneten Waggon lautstark zu telefonieren. Sie redete eine Stunde, zwei Stunden. Sie redete die ganze Nacht lang, wie Zeugen später berichteten. Der ­Akku hielt nur durch, weil in Amtrak-Zügen Ladestationen für Mobiltelefone installiert sind.
    Weder die Beschwerden anderer Passagiere noch mehrfache Durchsagen des Zugpersonals, ­Telefonate bitte zu unterlassen, konnten ihre Erzählfreude stoppen. Mit einigen

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