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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Küche, und Lutger zeigt auf den Backofen. Wolf beugt sich vor und sieht zwei Brote.
    – Ich konnte es nicht lassen. Ich war dabei, uns ein Chili zu kochen, dann kam mir die Idee, einen Brotteig anzusetzen, und zum Schluß hatte ich plötzlich Lust auf Nudeln. Frischgemachte Nudeln, du weißt doch noch, wie lecker die sind? Also, was willst du haben?
    – Ich nehme das Chili.
    – Das Chili soll es dann sein.
    Wolf deckt den Tisch, während Lutger das Essen auf Untersetzer stellt und dabei unentwegt redet. Es ist noch nie anders gewesen. Als müßte er den fehlenden Platz der Mutter mit Worten auffüllen. Wolf fragt sich nicht zum ersten Mal, was wäre, wenn Lutger und nicht die Mutter das Haus verlassen hätte.
    Wo wäre ich dann jetzt? Wer wäre ich?
     
    Nach dem Essen geht er nach oben in sein altes Zimmer, um nach Fotos zu suchen. Tamara hat ihn darum gebeten. Mitte der Neunziger durchlebte Wolf eine Phase, in der er jeden Tag dokumentierte. Die Filme hat er selbst entwickelt, und sie füllen unzählige Alben, die Lutger in einem der Schränke lagert.
    Nichts in dem Zimmer erinnert Wolf daran, daß er hier aufgewachsenist. Die Plakate sind von den Wänden verschwunden, selbst die Aufkleber wurden von der Innenseite der Tür gekratzt. Kein Möbelstück von damals ist übrig, auch die Wandfarbe ist eine andere. Das Zimmer könnte jedem gehören.
    In einem der Schränke stehen Kartons mit seinen alten Sachen. Bücher, Comics, Kassetten. Die unteren zwei Reihen gehören den Fotoalben, und auf den Alben steht ein Karton randvoll mit Filmdosen. Wolfs Fotophase hielt zwei Jahre, danach verkaufte er seine Dunkelkammer und nahm nie wieder eine Kamera in die Hand. Mehr als dreißig unentwickelte Filmrollen sind aus dieser Zeit übriggeblieben. Wolf weiß nicht, wie haltbar so ein Film ist. Er hätte den Karton längst wegschmeißen sollen.
    Die Jahreszahlen auf den Alben wurden mit einem silbernen Edding geschrieben. Fotos von der Clique, Fotos aus der Schulzeit und sogar eine Handvoll Nacktbilder von einem Mädchen, das kurz darauf nach Amerika reiste und nicht wollte, daß er sie vergißt.
    Wolf stapelt die Alben chronologisch, dann zögert er und stellt sie wieder zurück in den Schrank. Er weiß nicht, was er da tut. Er weiß nur, daß er im Moment nicht zurückschauen will.
     
    Lutger findet ihn im Gästezimmer auf dem Bett liegend, das Gesicht in einem Kissen vergraben. Lutger setzt sich auf die Bettkante und wartet eine Minute, bevor er sagt:
    – Nimm mal den Kopf aus dem Kissen. Sonst bekommst du keine Luft mehr und erstickst. Und wie stehe ich dann da?
    Wolf lacht, ohne es zu wollen. Er hebt den Kopf und sieht das Gesicht seines Vaters als blassen Fleck in der Dunkelheit.
    – Du bist ein guter Vater, sagt er.
    – Ich weiß.
    Wolf dreht sich auf den Rücken. Er wünscht sich, er könnte heulen. Seit Erins Tod hat er keine Träne mehr vergossen. Er würde so gerne um Frauke weinen, aber da ist nichts.
    – Ich habe nach der Beerdigung mit Tamara geschlafen, sagt er, und ich bereue keine Sekunde.
    Lutger schweigt für einen Moment, dann stellt er fest:
    – Freut mich. Ihr seid zwar nach all den Jahren fast wie Geschwister, aber Geschwisterliebe soll ja auch ihre Reize haben.
    – Lutger, das ist nicht witzig. Ich kenne Tamara seit über zehn Jahren und habe nie daran gedacht, daß da was sein könnte. Und plötzlich stirbt Frauke, und Tamara und ich ... Ergibt das irgendeinen Sinn? Ich seh da keinen. Aber es ist gut, es ist richtig. Also muß ich auch keinen Sinn darin sehen.
    – Wolf, es ist in Ordnung.
    – Natürlich ist es in Ordnung.
    Wolf verstummt und fügt nach einigen Sekunden hinzu: – Klar ist das in Ordnung, oder?
    – Was macht dir wirklich Sorgen?
    – Nichts.
    – Nun komm schon, was ist es?
    Woher weiß er das? Er kann in der Dunkelheit nicht einmal mein Gesicht sehen, bin ich derart durchschaubar? Wolf stellt sich vor, wie er seinem Vater eine kurze Zusammenfassung des Alptraums gibt, der vor knapp einer Wochen in ihr Leben eingebrochen ist. Der Killer hat übrigens ein Foto von dir gemacht, Lutger, was sagst du dazu?
    – Ich habe das Gefühl, daß alle verschwinden, sagt er stattdessen und begreift, noch während er es ausspricht, daß es ihm mehr um dieses Verschwinden geht als um einen Irren, der ihnen den Auftrag erteilt hat, eine Leiche aus dem Weg zu schaffen.
    – Alle verschwinden, und ich bleibe zurück, sagt er.
    Lutger zuckt mit den Schultern.
    – Ich bin auch zurückgeblieben,

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