Sorry
als deine Mutter uns verlassen hat. Kris ist es nicht anders ergangen. Du übertreibst ein wenig. Außerdem sind Frauke und Erin nicht einfach so verschwunden. Niemand hat dir das angetan.
Wolf starrt an die Zimmerdecke und ist froh, daß sie im Dunkeln sitzen. Natürlich hat ihm das niemand angetan, dennoch fühlt es sich an, als würde ein unsichtbares Gewicht auf ihm liegen, als hätte ihm jemand dieses Gewicht aufgeladen. Verlust, immer wieder Verlust. Wolf will es nicht sagen, er ahnt, daß es wie das Gejammer eines Idioten klingen wird, dennoch sagt er es.
– Anscheinend macht es euch nicht so viel aus. Ihr seid stark, ihr macht weiter wie zuvor, aber sieh mich an.
– Du jammerst.
– Ja, ich jammere.
– Und wir machen nicht weiter wie zuvor, wir sind nur gut im Bluffen, glaub mir das.
Lutger steht auf.
– Komm, wir gehen jetzt beide runter, und ich mache diesen teuren Wein auf, den ihr mir letztes Jahr geschenkt habt. Laß uns auf Frauke anstoßen. Auf Frauke und Tamara.
– Einfach so?
– Einfach so. Und weil ich froh bin, daß du hier bist. Kris hatte recht. Es war an der Zeit, daß wir uns mal wieder sprechen. Auch das Haus hat dich vermißt, ich konnte es spüren. Wenn du willst, kannst du gerne die Nacht hierblei - - -
– Was meinst du damit, Kris hatte recht ? wird er von Wolf unterbrochen.
– Du weißt doch, wie er ist. Er hat mich gebeten, dich zum Essen einzuladen, damit wir ein wenig mehr Zeit miteinander verbringen.
Wolf tastet nach der Nachttischlampe und schaltet sie ein. Vater und Sohn kneifen geblendet die Augen zusammen.
– Wann hat er dich darum gebeten? will Wolf wissen.
– Es war direkt nach der Beerdigung. Er rief an und meinte, du könntest eine Pause gebrauchen und ... He, wo willst du hin? – Ich muß weg.
– Aber ...
– Wir holen das nach.
Lutger bleibt allein im Zimmer zurück. Er hört die Haustür zufallen und fragt sich, was eben passiert ist.
Zwei Stunden und sechsundfünfzig Minuten nachdem er die Villa verlassen hat, biegt Wolf wieder in die Auffahrt ein und ist überrascht, daß nur sein Wagen auf dem Parkplatz fehlt. Er ist noch mehr überrascht von dem Bild, das sich ihm in der Küche bietet. Es ist nach Mitternacht. Tamara und Kris sitzen am Küchentisch und trinken Tee. Sie haben einen Becher für ihn bereitgestellt.
– Was läuft hier? fragt Wolf.
– Setz dich, bittet ihn Kris.
– Wieso hast du Lutger gebeten, daß er mich einlädt?
– Wolf, bitte, setz dich.
Wolf setzt sich an den Tisch. Als Tamara ihm Tee eingießen will, hält er die Hand über den Becher.
– Wir müssen reden, sagt Tamara, also nimm deine blöde Hand da weg und trink einen Tee mit uns.
Wolf zieht seine Hand zurück, Tamara gießt ein, die Brüder sehen sich an.
– Wir mußten dich loswerden, beginnt Kris zu erzählen.
– Den Punkt habe ich schon mitbekommen, eine Erklärung wäre nett.
Und so erfährt Wolf von Meybachs letztem Auftrag und hört, was Kris und Tamara getan haben.
– Du wärst uns im Weg gewesen, erklärt Kris.
Wolf verdaut die Nachricht, dann sagt er:
– Heißt das, es ist jetzt vorbei?
Wolf und Tamara sehen Kris gleichzeitig an, als hätte er zu entscheiden, wann es vorbei ist.
– Es ist vorbei, sagt Kris bestimmt. Ich habe Meybach die Datei geschickt. Wir werden nie wieder von ihm hören. Das verspreche ich euch.
Tamara nickt. Wolf legt den Kopf unmerklich schräg, als müßte er Kris aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Es ist ein kurzer, bitterer Moment, in dem er mit vollkommener Klarheit begreift, daß sein Bruder sie eben angelogen hat.
– Was ist? fragt Kris.
– Nichts, erwidert Wolf. Ich bin einfach nur froh, daß es vorbei ist, mehr nicht.
TAMARA
Zehn Minuten, fünfzehn Minuten. Tamara sitzt auf dem Bett, und nichts geschieht. Fraukes Zimmer bleibt, was es war, bevor Tamara hereinkam. Verlassen und leer. Tamara weiß nicht, was sie erwartet hat. Sie geht in den Keller und holt Kartons. Sie leert die Regale und beginnt, Fraukes Bücher in die Kartons zu packen.
– Was tust du da?
Wolf steht im Türrahmen.
– Aufräumen.
Sie sehen sich an.
– Alles in Ordnung, beruhigt Tamara ihn, wirklich.
Wolf nickt, er kommt nicht näher, sie kann sehen, daß er näher kommen will. Es wird Zeit, daß wir es Kris sagen , denkt sie und sagt:
– Laß uns morgen abend alle drei zusammen essen gehen. Wir sollten für ein paar Stunden aus der Villa verschwinden und ...
Ihr fehlen die Worte, sie weiß nicht, was sie da
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