Sorry
Kofferraum liegt. Tut mir leid, all das Hin und Her , würde Kris sagen, aber wir müssen sie erneut an die Wand hängen.
Im Kofferraum liegt eine Decke, unter der Decke befinden sich eine Zange, eine Taschenlampe, der verdreckte Schlafsack, in dem sie die Leiche transportiert haben, und die zwei Schaufeln aus dem Schuppen. Kris’ Stimme dringt wie aus weiter Ferne an ihre Ohren.
– Meybach hat angerufen. Wir haben einen neuen Auftrag.
Es ist ihre vierte Zigarette, es ist ihre letzte Zigarette. Tamara läßt sie auf den Boden fallen und reibt sie in den Asphalt.
– Wußtest du, daß ich nur geraucht habe, wenn Frauke mir eine Zigarette angeboten hat?
– Wer wußte das nicht?
Ja, wer wußte das nicht?
Sie betrachtet die Reste der Zigarette zu ihren Füßen. Asche. Tabak. Ein plattgetretener Filter. Sie lehnt mit dem Hintern an der Beifahrertür, Kris sitzt ihr gegenüber auf den Stufen eines Hauseinganges.
– Ich habe sie geliebt, weißt du das?
Kris nickt, er weiß das. Tamara bereut es, den Mund aufgemacht zu haben. Wir haben sie alle geliebt , denkt sie und will, daß Kris es sagt. Nur einmal. Sie kann die Spuren der letzten Tage deutlich an seinem Gesicht ablesen. Die Wangenknochen treten hart hervor, und im Laternenlicht wirkt sein kurzes Haar, als wäre es bis auf die Kopfhaut geschoren.
– Wir haben sie alle geliebt, sagt er. Es hat aber nichts mit dem hier zu tun, Tammi.
– Wieso willst du nicht über Frauke reden?
– Was gibt es da zu reden? Sie ist tot, und daran läßt sich nichts ändern. Natürlich bin ich traurig, natürlich könnte ich heulen, aber das da oben ...
Er zeigt zum Haus.
– ... ist wichtiger. Später können wir gerne über Frauke reden, aber das hier will ich schnell durchziehen, ohne irgendwelche neuen ethischen Diskussionen anzufangen, wo und wie die Leiche vergraben wird. Darum bist du hier und nicht Wolf. Außerdem bin ich mir nicht sicher, wie Wolf auf eine zweite Leiche reagieren würde.
– Du weißt auch nicht, wie ich reagieren werde.
– Du bist stärker als Wolf, du verkraftest das besser.
Tamara lacht.
– Das ist ja mal ein Kompliment.
– Gern geschehen.
Kris steht auf und klopft sich den Hintern sauber. Er geht um den Wagen herum, holt den Schlafsack aus dem Kofferraum, verstaut die Zange in seiner Jacke und schließt den Kofferraum wieder.
– Egal, wie du dich entscheidest, sagt er. Ich gehe jetzt hoch. Tamara streckt die Hand aus, Kris reicht ihr den Schlafsack. Sie überqueren die Straße Seite an Seite und betreten das Mietshaus.
Die Wohnungstür ist offen, und der Geruch nach Reinigungsmittel liegt noch immer in der Luft. Sie werfen einen Blick in die Küche und das Bad, bevor sie das Wohnzimmer betreten. Ein Mann hängt an der Wand. Seine Füße schweben Zentimeter über dem Boden. Das Gesicht ist blutig geschlagen.
– Entspann dich, sagt Kris.
– Ich bin entspannt.
– Das ist nicht entspannt, Tammi, du brichst mir den Arm.
Tamara sieht nach unten, ihre Hand umklammert seinen Unterarm. Sie läßt los und schüttelt die Finger aus, als wären sie eingeschlafen.
Bitte, Kris, sag jetzt nichts .
Kris geht zur Leiche und zieht einen Zettel aus ihrer Jackentasche. Er schaut dem Toten ins Gesicht. Das Blut kommt nicht nur von der Stirnwunde. Der Mann hat eine eingeschlagene Nase, und die Unterlippe ist aufgeplatzt. Kris öffnet den Zettel, der Text ist der gleiche wie bei der Frau.
– Schon wieder diese Tapete, sagt Tamara und berührt die Wand, die noch feucht ist.
– Laß uns anfangen, sagt Kris. Wir holen die Leiche runter und ...
Er verstummt.
– Was ist?
– Findest du es nicht merkwürdig, daß seine Augen offen sind? Bei der Frau war es genauso, erinnerst du dich?
Tamara erinnert sich, wie unheimlich sie es fand, daß die Augen der Frau dann später geschlossen waren, als sie vom Baumarkt zurückkamen. Sie weiß auch noch, was sie gedacht hat: Vielleicht ist sie müde geworden, während sie auf unsere Rückkehr gewartet hat.
Kris stellt sich direkt vor die Leiche, er hat den Kopf schräg gelegt, als würde er den richtigen Betrachtungswinkel suchen.
– Wenn mir jemand einen Nagel durch die Stirn hämmern würde, dann würde ich die Augen fest zukneifen, darauf kannst du wetten.
Kris geht näher an das Gesicht des Toten heran.
– Sieh dir das an.
– Kris, ich - - -
– Bitte, Tamara, sieh dir das an.
Tamara stellt sich neben ihn. Sie sieht das eingetrocknete Blut, das sich in den Hautfurchen verläuft
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