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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Vielleicht will er aber auch, daß wir ihn finden. Hast du schon mal daran gedacht?
    Es ist Wolf anzusehen, daß er nicht daran gedacht hat. Kris trinkt von seinem Kaffee, der kalt geworden ist. Er will die Worte wirken lassen. Während er Wolf beobachtet, fragt Kris sich, wie er ihn jetzt loswerden soll. Ich bin der große Bruder, der den kleinen Bruder beschützt. So war es schon immer.
    – Denk bloß nicht daran, mich loszuwerden, warnt Wolf ihn.
    – Niemand will dich loswerden.
    – Dann vertrau mir. Klammere mich nicht aus.
    Kris zögert, dann nimmt er den Zettel aus seiner Hosentasche und sagt:
    – Wenn Meybach will, daß wir ihn finden, dann tun wir ihm doch den Gefallen.
    – Was ist das? will Wolf wissen.
    Kris legt die Adresse auf den Tisch und schiebt sie Wolf zu.
    – Laß uns Meybach auf der Arbeit besuchen.
     
    – Tut mir leid, sagt die Frau am Empfang, ohne den Blick von ihrem Monitor zu nehmen, Meybach ist nicht mehr bei uns. Er hat vor drei Monaten gekündigt. Kann ich Ihnen sonst irgendwie helfen?
    – Sind Sie sich sicher? fragt Kris.
    – Sicherer geht es nicht. Seine Mutter wurde krank. Lars wollte sich um sie kümmern. Erst nur für einen Monat, dann ist er ganz ausgestiegen.
    Sie blickt das erste Mal auf und lächelt plötzlich. Es ist das falscheste Lächeln, das Kris seit langem gesehen hat. Busineß pur.
    – Um was geht es denn?
    Kris weiß nicht, was er ihr antworten soll. Wolf schiebt ihn zur Seite und übernimmt.
    – Wir sind Klassenkameraden. Wir sind nach Jahren das erste Mal wieder in Berlin und wollten ihn überraschen. Da er nicht zu Hause war, dachten wir, wir treffen ihn hier an. Irgendeine Idee, wie wir jetzt weitermachen?
    Volltreffer. Die Frau ist herausgefordert, sie brauchen ihre Hilfe.
    Es gibt solche Leute – Menschen ohne Aufgabe, die, in sich ruhend, beinahe schon leblos sind, aber voller Energie stecken, sobald man sie braucht.
    – Haben Sie es auf seinem Handy probiert?
    – Er geht nicht dran.
    – Hm, lassen Sie mal schauen.
    Sie nimmt die Unterlippe zwischen die Zähne und lehnt sich auf ihrem Stuhl zurück. Sie sieht nicht mehr aus wie eine Empfangsdame Mitte Zwanzig, sie ist jetzt mehr ein Teenager, der vor einem Rätsel steht.
    – Sie könnten es bei seinen Eltern versuchen.
    Sie rutscht wieder an die Tastatur, tippt und findet heraus, daß die Eltern in Dahlem wohnen. Sie schreibt die Adresse auf und unterstreicht die Straße zweimal, als wären Kris und Wolf dumm. Ihr Telefon klingelt, als sie ihnen den Zettel reicht. Sie greift nach dem Hörer, ihre Augen wandern durch den Raum und an ihnen vorbei. Die Brüder sind für sie nicht mehr da.
    – Wahrscheinlich züchten sie solche Frauen in einem Labor, sagt Wolf auf dem Weg nach draußen.
    – Zumindest hat sie uns geholfen.
    Wolf sieht auf den Zettel.
    – Was genau versprichst du dir von den Eltern?
    – Irgendwas, sagt Kris. Mir reichen auch die Krümel vom Tisch.
    – Wie poetisch.
     
    Niemand öffnet auf ihr Klingeln, aber sie hören aus dem Inneren des Hauses Musik. Wolf geht zu einem der Fenster und schirmt die Augen ab. Nach einigen Sekunden klopft er gegen die Scheibe. Als er wieder neben Kris steht, verstummt die Musik, und die Haustür öffnet sich. Die Frau ist Mitte Fünfzig. Sie hält eine Schere und einen Kamm in der Hand.
    – Ja, bitte?
    – Frau Meybach? fragt Kris. Lars Meybachs Mutter?
    Ihr Mund wird ein Strich, sie nickt. Wolf erzählt ihr dieselbe Geschichte, die er in der Werbeagentur erzählt hat. Die Suche nach dem verschollenen Freund geht weiter. Die Mutter bittet sie hinein. Im Wohnzimmer sitzt ein Pudel auf einem Stuhl. Auf dem Bodenliegt abgeschnittenes Fell. Als der Pudel die Brüder reinkommen sieht, will er von dem Stuhl springen, sein Frauchen fährt ihn scharf an.
    – Sitz!
    Der Hund duckt sich und bleibt sitzen.
    – Er haßt es, wenn ich ihm das Fell schneide, erklärt sie und zeigt auf das Sofa.
    Sie setzen sich, der Pudel nimmt die Augen nicht von ihnen. Frau Meybach tätschelt ihm den Kopf. Sie sagt nichts, sie sieht die Brüder nur an, dann räuspert sie sich, als wäre ihr eben erst aufgefallen, daß niemand spricht. Sie beginnt zu erzählen. Die Mutter sagt, es täte ihr leid, daß sie es so erfahren müßten, aber ihr Sohn sei vor drei Monaten gestorben und es sei eine Last, die die Familie noch immer mit sich trage.
     
    Die Brüder stehen wieder auf der Straße. Sie begreifen gar nichts mehr. Sie sitzen wie betäubt im Wagen und begreifen rein gar nichts.

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