Sorry
Wolf versucht, irgendeine Logik in die Geschichte zu bringen. Es kommt nur Blödsinn heraus.
– Du hast doch am Telefon mit ihm gesprochen. Du hast seine Adresse herausgefunden, und du warst in seiner Wohnung. Ich meine, sein Nachbar wird doch wohl wissen, ob der Typ tot ist oder nicht.
– Vielleicht ist es ein anderer Lars Meybach, sagt Kris.
– Komm, Kris, das ist Blödsinn. Es ist sein Handy, das in seiner Wohnung geklingelt hat. Du hast das Ding doch selbst gesehen.
Es ist vier Uhr nachmittags, der Berufsverkehr blüht auf wie ein metallisches Geschwür. Sie beschließen, noch einmal zu Meybach zu fahren und mit dem Nachbarn zu reden. Wolf sagt, Kris soll die Autobahn meiden. Kris findet, über die Autobahn ginge es schneller. Die nächste halbe Stunde stehen sie im Stau, fahren am Kurfürstendamm von der Autobahn runter und schaffen es über Seitenstraßen in fünf Minuten zum Stuttgarter Platz.
Jonas Kronauer ist natürlich nicht mehr zu Hause. Sie klingeln erneut bei Meybach, und Wolf schlägt vor, die Tür aufzubrechen. Kris hat keine Ahnung, was das bringen soll, und schlägt vor, daß sie ein zweites Mal zur Werbeagentur fahren.
Lars Meybach hat laut seiner Mutter eine Überdosis Schlaftabletten genommen und ist in der Badewanne ertrunken. Sein Nachbar und bester Freund Jonas soll ihn gefunden haben. Die Mutter hat den Brüdern die Details zugeflüstert, so daß Kris und Wolf vorgebeugt auf dem Rand des Sofas sitzen mußten, um auch jedes Wort mitzubekommen. Die Mutter sagte, daß ihr Sohn depressiv gewesen sei und sein Selbstmord deshalb niemanden wirklich überrascht hätte.
– Wir haben außerhalb der Familie keinem erzählt, daß er tot ist. Wir hätten die Demütigung nicht ertragen. Sie wissen doch, wie die Leute reden. Lars war eine Schande für uns alle. Sein Tod war eine Erleichterung. Bitte, sprechen Sie meinen Mann nicht darauf an. Wir müssen ja weiterleben.
Die Frau am Empfang glaubt ihnen kein Wort.
– Lars ist nicht tot, das ist Quatsch, sagt sie und lacht dieses perlige Lachen, das an zu süßen Sekt erinnert. Wir haben regelmäßig Kontakt mit ihm, seine letzte Nachricht ...
Sie flippt durch ihr Mailprogramm.
– ... ist vom 16. Februar. Er hat André zum Geburtstag gratuliert. André ist unser Chef. Er hofft noch immer, daß Lars eines Tages wieder hier arbeitet. Wer hat Ihnen erzählt, daß er tot ist?
– Wir waren bei seiner Mutter, sagt Kris.
– Ach, Mütter, sagt die Frau und lächelt bedauernd.
Die Brüder stehen auf dem Alexanderplatz und sind noch immer verwirrt.
– Wieso sollte die Mutter uns anlügen? fragt Wolf. Hat die Frau auf dich verrückt gewirkt?
– Hat Fraukes Mutter auf dich jemals verrückt gewirkt? fragt Kris zurück.
Bevor Wolf antworten kann, klingelt sein Handy. Er nimmt den Anruf entgegen, hört kurz zu und reicht an Kris weiter.
– Es ist Meybach. Er will wissen, was die Scheiße soll.
DU
Es überrascht dich nicht wirklich, daß sie die Wohnung gefunden haben. Du hast damit gerechnet, du wolltest es so. Du hast ihnen aber nicht zugetraut, daß sie tatsächlich bei dir auftauchen. Es freut dich, daß es Kris Marrer war. Er bleibt weiterhin ein Rätsel für dich. Was er denkt, was er fühlt. Du bereust, nicht mehr Zeit für ihn zu haben. Sein Besuch macht dein Leben realer. Kris Marrer war in deiner Wohnung, Kris Marrer ist durch deine Zimmer gelaufen, und Kris Marrer weiß, daß du lebst. Er weiß es. Auch wenn du dich darüber freust, solltest du dir das am Telefon nicht anmerken lassen. Du bist ja kein Idiot. Gib ihm deine Wut.
– Was soll die Scheiße? fragst du erneut, nachdem Wolf Marrer das Handy an seinen Bruder weitergereicht hat. Ich dachte, wir hätten eine geschäftliche Vereinbarung, und dann höre ich, daß du bei mir zu Hause aufgetaucht bist!
Am anderen Ende ist für Sekunden nichts zu hören, dann sagt Kris Marrer:
– In unserer Vereinbarung steht nichts davon, daß wir unsere Klienten nicht aufsuchen dürfen, um Probleme mit ihnen zu besprechen.
Du lachst.
– Sehr witzig, Marrer, irre witzig. Was haben wir denn für Probleme?
– Es geht das Gerücht um, daß du eine Überdosis Schlaftabletten genommen hast und in deiner Badewanne ertrunken bist.
Der Spaß ist vorbei.
Wie konnte er nur ...
Du hast keine Ahnung, wie das geschehen konnte.
Wie kann er es wagen ...
Für einen langen, zähen Moment legt sich ein roter Vorhang über deine Augen. Der Raum verschwindet, das Gebäude löst sich auf, und die
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