Sorry
Regen, Wind und mittendrin er. Sein Herz hat den Rhythmus gefunden, er spürt es, er atmet es.
Die Belzens haben ihm von dem Boot erzählt, mit dem sie im Sommer zur Pfaueninsel rudern. Das Boot ist auf der anderen Seite des Hauses. Er zieht die Plane herunter, die Ruder sind an den Seiten festgesteckt. Er kehrt in das Haus zurück und holt sich eine Öljacke, die er sich über die nassen Sachen zieht. Er findet aucheine Baseballmütze und setzt sie auf, damit ihm der Regen bei der Arbeit nicht in die Augen fließt. Er will eben nach draußen gehen, da fallen ihm die Blumen im Flur auf. Sie sind wunderschön, rein, weiß. Sie sind das pure Leben. Er greift sich den Lilienstrauß und nimmt ihn mit.
Als er das Boot zu Wasser läßt, stellt er sich das besorgte Gesicht seines Arztes vor. Für Minuten wandert ein unruhiges Flackern durch seine Brust, aber es wird mit jedem Ruderschlag schwächer und schwächer. Die Strömung ist kaum spürbar. Er bringt die fünfzig Meter bis zum anderen Ufer ohne Mühe hinter sich, wikkelt das Seil um den Anlegesteg und geht an Land. Er weiß, wo die Brüder die Schubkarre und die Spaten verstaut haben. Er nimmt sich einen der Spaten und erledigt seine Arbeit.
Im Morgengrauen kehrt er zurück in das Haus der Belzens. Er hat den Schlafsack in der Grube gelassen, das Grab ist wieder verschlossen. Nachdem er Fanni auf das Sofa gebettet hat, zieht er das Boot an Land und bringt es an seinen angestammten Platz. Er ist müde, aber die Euphorie ist stärker. Er hängt die Öljacke in die Garderobe und legt die Baseballmütze auf die Ablage daneben.
Alles ist, wie es vorher war.
Er schaut an sich herab. Seine Kleidung ist dreckverschmiert, die Hosenbeine von einer Schlammkruste überzogen. Er stopft seine Sachen in die Waschmaschine und schaltet auf Schnellwaschgang. Nur in Unterwäsche geht er in den Keller. Das Feuer in seinem Inneren hat sich beruhigt, er hat nicht vor zu frieren. Der Keller ist ein großer Werkraum mit einer langen Arbeitsfläche. Flugmodelle hängen an Schnüren, da ist ein durchgesessenes Sofa, ein ratternder Kühlschrank, und in der einen Ecke steht ein alter Flipper. Der Heizkessel befindet sich direkt unter der Treppe. Nachdem er die Heizung auf 25 Grad gestellt hat, entdeckt er an einem der Stützbalken ein Fernglas in einem Lederfutteral.
Unter der Dusche drückt er Fanni an sich und läßt die Trauer zu. Es ist wie eine Wiedervereinigung. Er wäscht sie, küßt die Wunde auf ihrer Stirn. Er sieht sich an, was aus ihr geworden ist. Seine Fanni. Sie ist gealtert. Er berührt ihre Lippen, er hebt ihre Brüste an undläßt sie fallen. Er reibt das Blut aus ihren Handwunden, bis nur das saubere, offene Fleisch zu sehen ist. Er wäscht ihr Haar und spürt die Erregung. Sein Penis liegt satt und schwer auf seinem Oberschenkel. Er spült den Schaum aus ihrem Haar, trocknet sie ab und trägt sie nach oben. Er legt sie auf ein Sofa im Nebenzimmer, weil er nicht will, daß sie einen Raum mit den Belzens teilt. Fanni war besonders. Er bettet sie, er deckt sie zu und läßt sie allein.
Die Nacht verbringt er im Wohnzimmer mit Blick auf die Villa. Als er das Signal hört, holt er die Wäsche aus der Waschmaschine und steckt sie in den daneben stehenden Trockner. Kurz darauf schlüpft er in die noch warmen Kleidungsstücke und fühlt sich sehr wohl. Die Müdigkeit liegt hinter ihm.
Er setzt Kaffee auf, füllt einen Becher und nimmt seinen Platz im Wohnzimmer ein. Die hauchdünnen Vorhänge schirmen ihn ab und lassen ihm dennoch freie Sicht auf die Villa.
Und so erlebt er den Morgen, und so sieht er die Polizei kommen und das Grab ausheben. Er weiß nicht, wer die Polizei gerufen hat oder was da drüben gespielt wird. Aber er lächelt über ihre Ratlosigkeit, als sie nur den Schlafsack bergen. Und dann sieht er ihn und kann es nicht glauben, daß er ihn sieht. Er setzt sich auf und drückt das Fernglas gegen die Augen, bis es schmerzt. Sein Gedächtnis ist sehr gut. Auch ohne Anzug oder Müllsack im Arm erkennt er ihn sofort wieder.
Da bist du ja , denkt er und sagt leise:
– Lars. Was tust du nur? Junge, was tust du nur?
Erst nachdem die Polizei vom Grundstück gefahren ist, senkt er das Fernglas und lehnt sich ratlos zurück. Er weiß nicht, was hier läuft, aber allmählich beginnt er, Gefallen an dem Rätsel zu finden. Er spürt die Aufregung. Seine Atmung ist zu schnell, der Blutdruck steigt, das Flackern rast wie ein elektrischer Impuls durch seine
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