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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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hören. Er will ihn nicht ermahnen, er will aber auch nicht dieses Gejammer in seinem Ohr haben.
    – Karl, reiß dich zusammen.
    Und dann warnt er Karl und läßt ihn wissen, daß, wer auch immer Fanni ermordet habe, er auch hinter ihm hersein könne.
    – Du bist in Gefahr, Karl. Du mußt vorsichtig sein.
    Mit diesen Worten läßt er ihn allein. Voller Furcht und voller Verunsicherungen. Denn wer sich fürchtet und verunsichert ist, der ist gleichzeitig sensibel für die Gefahren um sich herum. Und das alles verlangt er von seinen Kindern. Es ist das mindeste, was sie ihm für seine Liebe zurückgeben können.
     
    Der Platz auf der Terrasse ist ideal. Er hat die Plastikplane von den Stühlen entfernt und sitzt im Schatten eines Windfangs, die Dunkelheit des Hauses in seinem Rücken. Die Villa liegt vor ihm, er hat außerdem freien Blick auf einen Schuppen und einen Teil der Einfahrt. Besser geht es nicht.
    Er weiß, daß er hier nur mit Warten weiterkommen wird. Die richtige Aktion entsteht aus der Geduld heraus, Geduld besteht aus Warten. Wer nicht wartet, zeigt keine Geduld und verpaßt die richtige Aktion. Ihm fällt nicht ein, woher er dieses Zitat hat. Wahrscheinlich hat er es auf einem Kalenderblatt gelesen, Bücher interessieren ihn schon lange nicht mehr. Das Leben ist auch ohne die Gedanken anderer schon kompliziert genug.
     
    Es ist kalt, er holt sich eine Decke aus dem Haus. Früher hätte er nicht so gefroren. Alles ist anders. Er hat die letzten Jahre freiwillig im Exil verbracht. Ein Haus im Westen von Berlin, eine Anonymität, die ihn kleiner und unbedeutender machte. Aber es war sein Entschluß gewesen. Kein Kontakt mehr. Sein Herz war zu schwach. Nach den Operationen und den Wochen und Monaten im Krankenhaus änderte er sein Leben und verschwand. Er wurde zu einem Märchenwesen, das freiwillig in einen jahrelangen Schlaf fiel. Bis ihr Anruf ihn weckte.
     
    – Du wirst nicht glauben, wer gerade bei mir auf der Toilette sitzt, sind ihre Worte gewesen.
    Er antwortete mit einem Schweigen. Ihr Anruf kam unvorbereitet. Sie hatten zwar per Post Kontakt, aber der Kontakt war einseitig. Er wollte nicht mehr für seine Kinder dasein. Sie waren ihm entwachsen. Ohne daß sie es wissen konnten, hielten sie ihm mit ihrer eigenen Existenz vor Augen, was das Leben ihm inzwischen verwehrte. Also schwieg er und hörte ihren Atem in seinem Ohr und spürte, wie ein Schauder seinen Körper durchfuhr. Es fühlte sich an, als würde er versuchen, einen Orgasmus zurückzuhalten. Ohne Erfolg, der Körper bebte. Dankbar. Glücklich. Erleichtert. Fanni . Sie war Familie. Auch wenn er es nie zeigen würde, vermißte er seine Familie sehr.
    – Er ist so groß geworden, sagte Fanni.
    – Wer? brachte er schließlich hervor.
    – Der kleine Lars. Unser kleiner Lars ist zurück. Er ist - - -
    Er legte auf. Er war so nervös, daß ihm ein wenig Urin entwich und an seinem Bein hinunterfloß. All die Jahre der Stille, und dann diese Nachricht. Einer seiner Söhne war zurückgekehrt. Lars. Warum ist es nicht geschehen, als er noch gesund gewesen war? Warum jetzt? Jetzt war er Vergangenheit.
    Er reagierte spontan und fuhr zu Fanni. Er hatte ihre neue Adresse, er wußte, wo all seine Kinder lebten. Auf dem Weg wunderte er sich, daß der Hunger so stark sein konnte, daß er all seine Vorsätze über Bord warf. Er lachte. Er fühlte sich wieder jung und wagemutig. Unser kleiner Lars ist zurück. Als würden die Puzzleteile plötzlich zusammenpassen. Und er war ein Teil davon.
    Ja.
    Aber er kam zu spät. Um Minuten. An diesem Tag wurde ihm zum ersten Mal bewußt, daß die Zeit aus den Fugen geraten war. Er war früher nie zu spät gewesen, er hätte sich für solch eine Unachtsamkeit streng bestraft.
    Im Hausflur begegnete er einem Mann, der mit einem schwarzen Müllbeutel die Treppe herunterkam und ihm respektvoll Platz machte. Sie nickten einander zu. Er sah den Zusammenhang nicht, er war zu erregt und hungrig. Zu viele Gefühle, zu viele Erinnerungen tobten in ihm. Das Begreifen kam erst, als er vor Fannis Wohnungstür stand und das vierte Mal klingelte. Sein Instinkt schlug zu, und er eilte die Treppe hinunter und auf die Straße. Natürlich war der Mann längst verschwunden. Er stand da und hatte die Fäuste geballt. Er konzentrierte sich. Wohin? Und mit jeder Sekunde, die verstrich, begann er, wieder der zu werden, der er einmal gewesen war.
     
    Er spielte Fannis Anruf in seinem Kopf wieder und wieder ab. Er setzte sich in ein

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