Sorry
unmöglich, die Grundstücke von außen einzusehen. Früher hätte er erst geklingelt, wenn er sich hundertprozentig sicher gewesen wäre.
Eine Frau öffnet, sie hält eine Katze auf dem Arm. Er entschuldigt sich für die späte Störung und geht, ohne ihr eine weitere Erklärung für seinen Besuch zu geben. Zwei Häuser weiter öffnet ihm ein Mann. Sein Instinkt sagt ihm, daß er hier richtig ist, aber er muß sich überzeugen.
– Tut mir leid, daß ich Sie so spät störe, sagt er. Mein Wagen ist liegengeblieben. Ich stehe gleich da vorn und würde gerne schnell den ADAC anrufen, damit sie mich abschleppen.
– Jeder Handy-Feind ist mein Freund, erwidert Joachim Belzen und bittet ihn rein.
Seine Mutter schwärmte von seiner Gabe, da war er noch ein Kind. Er fand immer die richtigen Worte, er hatte das richtige Lächeln.
– Schön haben Sie es hier, sagt er.
Joachim Belzen ruft nach seiner Frau, die aus dem oberen Stockwerk herunterkommt. Ihre Hand ist klein und stark. Auch sie zeigt keine Spur von Mißtrauen. Wie er es auch anstellt, die Leute sehen immer das Gute in ihm.
– Sie sind ja ganz durchgefroren, sagt Helena Belzen.
Er reibt sich die Arme und zuckt mit den Schultern. In der nächsten Minute ist Helena in der Küche verschwunden, um ihm Tee zu machen. Er telefoniert in der Zwischenzeit mit dem Wetterdienst, liest eine fiktive Kundennummer von einem Parkschein ab und bedankt sich für den schnellen Service.
– Der ADAC wird in einer Dreiviertelstunde dasein, sagt er und schaut durch das Terrassenfenster in den Garten und entdeckt auf der gegen überliegenden Uferseite die erleuchteten Fenster der Villa.
– Ich dachte immer, die brauchen länger, fügt er hinzu.
– Nachts ist beim ADAC nie was los, sagt Joachim Belzen und bittet seinen Gast, sich zu setzen. Helena kommt mit einem Teebecher. Sie sagt, er solle es sich aus dem Kopf schlagen, draußen in der Kälte auf den ADAC zu warten. Und so beginnen die Belzens zu erzählen. Er braucht nur vier Fragen, dann ist er beim Thema. Er spricht über ihr wunderschönes Grundstück und fragt wie nebenbei, wer sich denn diese pompöse Villa gegenüber leisten könne.
Sie verraten ihm alles. Wie nett die neuen Besitzer seien, wie sie hießen und was für einen Erfolg sie mit ihrer Arbeit hätten.
– Eine Agentur also, sagt er zum Schluß.
– Wir glauben, sie machen irgendwas mit Versicherungen, sagt Helena, obwohl sie nun wirklich nicht danach aussehen.
– Auf jeden Fall haben sie mehr Geld, als sie verdienen, wirft Joachim ein, und alle drei lachen über die Doppeldeutigkeit dieser Aussage.
Die Belzens sprechen von ihrem Haus und den vielen Jahren Arbeit, die sie hineingesteckt haben. Sie führen ihn herum, und sein Verdacht, daß sie nicht oft Besuch bekommen, wird bestätigt. Sie gehören zu der Sorte von Paaren, bei denen nach dem Tod des einen der andere recht schnell seinen Lebenswillen aufgibt.
– Ich kann Ihnen gerne noch einen Tee machen, bietet Helena an.
Er wirft einen Blick auf seine Uhr und schüttelt den Kopf. Es sei an der Zeit zu gehen, der Abschleppwagen warte bestimmt schon. Er bedankt sich für ihre Gastfreundschaft und dafür, daß er ihr Telefon benutzen durfte. Die Belzens bringen ihn zur Tür. Er schütteltihnen die Hand. Es ist ihm schon immer wichtig gewesen, für einige Sekunden den körperlichen Kontakt zu halten. Als er sich eben abwenden will, klingelt das Handy in seiner Manteltasche.
Fünfzehn Minuten später wäscht er sich die Hände in der Gästetoilette und setzt sich auf die dunkle Terrasse der Belzens. Er hätte sein Handy ausschalten sollen. Er begreift nicht, wie es möglich ist, daß er die wichtigsten Dinge einfach so vergißt.
– Karl? sagt er. Jetzt können wir - - -
– Ich weiß nicht, wo sie ist, wird er unterbrochen. Es ist zwei Tage her und - - -
– Karl, ruhig.
Karl klingt gehetzt. Es ist falsch, denn er ist nie gehetzt.
– Aber sie ruft mich immer an, wenn sie - - -
– Wenn ich ruhig sage, meine ich ruhig, hast du verstanden?
Er befiehlt es ihm, und Karl ist sofort still. Anders geht es nicht.
– Ich bin ruhig, sagt Karl nach einigen Sekunden mit leiser Stimme, und als der Mann das hört, wird ihm warm ums Herz. Und nach der Wärme kommt die Trauer. Ich weiß, wo Fanni ist, Karl. Er fragt sich, wie er es ihm sagen soll. Sie waren wie Geschwister. Meine Kinder.
– Ich weiß, wo sie ist, Karl, sagt er vorsichtig und beginnt zu erzählen. Bald ist nur noch Karls Weinen zu
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