Sorry
Café und dachte nach. Die Teile paßten nicht zusammen. Was will Lars mit Fanni? Er trank den ersten Kaffee seit vier Jahren. Sein Körper verdarb ihm den Genuß, der Magen begann zu rumoren, er bekam Blähungen und eilte auf die Toilette. Als er wieder an seinem Tisch saß, bestellte er einen großen Cappuccino. Er hatte nicht vor, sich von seinem Körper beherrschen zu lassen. Außerdem half der Kaffee ihm beim Denken. Und er mußte viel denken. Schließlich fuhr er ein zweites Mal zu FannisWohnung. Er brauchte keine Minute, um ihr Türschloß zu knakken. Seine Vermutung stimmte, Fanni war verschwunden.
Der Sofabezug war an zwei Stellen hell verfärbt, und das Sofa selbst war verschoben. Er konnte sehen, wo die Beine vorher gestanden hatten, und wußte, daß Fanni es niemals so hätte stehenlassen. Fannie war gut erzogen, und er war es gewesen, der sie erzogen hatte. Er beugte sich über die verfärbten Stellen auf dem Sofa und roch. Der Geruch war ihm vertraut. Bitter und scharf, CS-Gas. Und jetzt, wo er genauer hinsah, waren die Hinweise überall. Unter dem Couchtisch entdeckte er ein eingebranntes Loch im Teppich und Aschereste daneben. Die Wollfasern hätten Feuer fangen können, aber jemand hat die Zigarettenkippe ausgetreten und dann in den Aschenbecher gelegt. Einige Wollfasern klebten noch am Filter. Fanni hätte den Aschenbecher sofort entleert und ausgewischt.
Er versetzte sich in den kleinen Lars, der jetzt ein Mann war. Er sah ihn vor sich. Lars Meybach. Er öffnete sich für die Erinnerung, als würde er die Bretter von einem stillgelegten Brunnen wegreißen. Die Stille, die Kühle, die von unten aufstieg. Er lachte. Es war so einfach, wenn er sich auf seine Instinkte einließ. Es gab nur einen Ort, an den Lars seine Fanni bringen würde.
Er fuhr nach Kreuzberg. Er fand einen Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite, stieg aus und wartete, bis eine Lücke im Verkehr entstand, bevor er die Straße überquerte. Und während er wartete, sah er sie aus dem Haus kommen. Zwei Männer und eine Frau. Irgendwas an ihren Gesichtern ließ ihn auf dem Bürgersteig stehenbleiben. Er nahm sein Handy aus dem Mantel und tat, als würde er eine Nachricht lesen. Sie überquerten die Straße und gingen an ihm vorbei. Die Frau streifte leicht seine Schulter. Er drehte sich um und sah sie in ein Auto steigen. Sie parkten aus und fuhren davon, und er begriff, was er in ihren Gesichtern gesehen hatte. Sie waren dem Tod begegnet. Ohne zu zögern, über querte er die Straße, wurde angehupt, stieß den Haus eingang auf, ging durch den Hinterhof und die Treppe hoch.
Aber er kam wieder zu spät.
Als er Stunden später auf der Terrasse der Belzens sitzt und auf der anderen Uferseite dieselben Männer beobachtet, denen er nicht nur auf der Straße begegnet ist, sondern die auch das Grab im Wald ausgehoben haben, weiß er, wie sie heißen und daß sie Brüder sind. Kris und Wolf, ihre Nachnamen kannten die Belzens nicht. Die Brüder sitzen im Wintergarten und betrinken sich. Sie ahnen nichts, sie spüren nichts. Er nimmt den Blick keine Sekunde von ihnen. Je länger er sie beobachtet, desto größer wird das Rätsel. In welchem Zusammenhang steht das Leben dieser Menschen mit dem Leben von Fanni? Was ist die Verbindung? Das Rätsel ist wie ein Haus mit zugemauerten Fenstern und nur einer verschlossenen Tür. Es gibt nur einen Weg in das Haus, und er weiß, daß Lars Meybach der Schlüssel ist.
Gegen vier Uhr morgens sieht er die Brüder erneut ein Grab ausheben. Dieses Mal gibt es keinen Streit. Sie legen Fannis Leiche in die Grube. Es beginnt zu regnen. Ein eiskalter Regen, der prasselnd herunterkommt und von einem Gewitter begleitet wird. Die Brüder fahren die Erde mit einer Schubkarre zum Wasser und kippen sie in den Kleinen Wannsee. Er kann nicht mehr still sitzen. Er ignoriert den Regen und stellt sich an das Ufer. Er ist fünfzig Meter entfernt und hört über den Regen hinweg den keuchenden Atem der Brüder. Sie blicken einmal auf, sie können ihn nicht sehen, denn er will nicht gesehen werden. Nicht alles, was er zurückgelassen hat, hat er verlernt. Er verschwindet in den Schatten. Er könnte nach ihnen rufen, und sie würden ihn nicht sehen.
Hier, hier bin ich.
Die Brüder kehren in die Villa zurück, die Lichter verlöschen. Er steht reglos da und lauscht der Stille. Er friert trotz des Windes nicht, ein inneres Feuer hält ihn warm, seine Seele steht in Flammen. Nur der Regen ist zu hören.
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