Sorry
Brust. Er will aufstehen, Stiche jagen seinen linken Arm rauf und runter. Alle seine Muskeln spannen sich ruckartig an, und lange bevor er auf die Beine kommen kann, verkrampft sich sein Herz. Er sinkt zur Seite und hört auf zu atmen. Er ist nicht mehr.
TEIL IV
danach
Ich erwache von einem dumpfen Klopfen und bin für einen Moment vollkommen ohne Orientierung. Um mich herum ist alles grau, in unregelmäßigen Abständen schneiden Scheinwerfer durch die Dunkelheit und zerfasern den Nebel. Die Erinnerung rauscht auf mich ein, so daß ich die Augen schließen und tief durchatmen muß. Meine Blackouts dauern jetzt immer länger. Ich müßte zwölf Stunden durchschlafen, die kurzen Pausen reichen einfach nicht aus.
Das Klopfen ist wieder zu hören.
Ein Mann taucht aus dem Nebel auf. Gelbe Schiebermütze, grüne Armeejacke und dazu ein rotgelber Jogginganzug. Seine Füße stecken in blauweißen Badelatschen. Er bleibt vor einem der Mülleimer stehen und schmeißt eine Tüte rein. Danach pinkelt er in das karge Gras daneben, als würde es mich und meinen Wagen nicht geben. Vielleicht denkt er, daß ich schlafe, vielleicht ist es ihm auch egal. Als er fertig ist, kratzt er sich am Hintern und verschwindet wieder im Nebel.
Ich löse meine verkrampfte Hand vom Zündschlüssel, ich war auf alles gefaßt. Zwei Rücklichter glühen rot in der Dunkelheit auf, ein Kombi entfernt sich vom Rastplatz, wieder ist das Klopfen aus dem Kofferraum zu hören. Es hält genau vierundzwanzig Sekunden an. Als es wieder still ist, steige ich aus und sehe nach.
Seine Stirn ist blutig. Irgendwie ist es ihm gelungen, seinen Kopf zu befreien. Ich lasse den Kofferraum einige Minuten lang offen, damit der Gestank entweichen kann, dann benutze ich eine Menge Klebeband, um seinen Kopf an Ort und Stelle zu sichern. Es ist der dritte Tag. Er bekommt kein Wasser von mir, er hat sich keines verdient.
davor
FRAUKE
Ein Tag ist vergangen, seit die Polizei das leere Grab auf dem Villengrundstück ausgehoben hat. Innerhalb dieses kurzen Zeitraums ist der Winter aus seinem Versteck gekrochen und hat das Land überrollt. Die Temperaturen sind binnen weniger Stunden in die Minusgrade gefallen, Schnee hat sich wie ein flüsterndes Laken über das Land gelegt und für eine befremdliche Stille gesorgt – der Verkehrslärm ist verschwunden, keine Vögel sind mehr zu hören, die Menschen sprechen leiser miteinander.
Im Süden Deutschlands herrscht Ausnahmezustand, die Bahn fährt nicht mehr, alle Flüge sind ausgefallen, und die Schulen sind geschlossen. Im Norden und Westen toben orkanartige Stürme, während sich im Osten eine neue Eiszeit ausbreitet. Berlin hat sich über Nacht in einen erstickenden Traum aus Weiß verwandelt. Der Verkehr schleppt sich wie ein angeschossenes Tier durch die Stadt. Die Bürgersteige sind verlassen, kaum ein Mensch wagt sich nach draußen, und die Laternen sind in den Morgenstunden nur schimmernde gelbe Tupfer, die gegen das Dämmerlicht nicht ankommen.
Frauke interessiert dieser Katastrophenzustand wenig. Sie sitzt frierend auf einem gefällten Baumstamm und hat eine Zeitung unter ihrem Hintern. Die Krumme Lanke liegt erstarrt zu ihren Füßen und ist mit einer Schneeschicht bedeckt, auf der keine Spuren zu erkennen sind. Die einzigen Bewegungen in der verschneiten Landschaft sind Raben, die sich lautlos von einem Ast zum anderen schwingen.
Frauke kommt es so vor, als spiegelte das Wetter ihren inneren Zustand. Sie schnippt ihre Zigarette weg und stampft ein paarmal auf der Stelle. Ihre Uhr zeigt Viertel vor zehn. Frauke wird langsam nervös. Wahrscheinlich will ich nur nach Hause , lügt sie sich an und nimmt die nächste Zigarette aus der Schachtel. Sie hat die letzte Nacht in einem Hotel verbracht, obwohl Gerald ihr angeboten hatte, bei ihm zu schlafen. Frauke hatte dankend abgelehnt. Sie hat genug Komplikationen am Hals, da muß Gerald nicht auch noch dazukommen.
Nachdem die Polizei am Samstag mittag vom Villengrundstück abgezogen war, ging Gerald auf Fraukes Wunsch hin mit ihr in ein Café. Frauke konnte spüren, wie irritiert er war. Erst tauchte sie am Vorabend vollkommen aufgelöst vor seiner Wohnungstür auf und bat um Hilfe, dann warf sie ihn Stunden später vor ihren Freunden aus der Villa, um am nächsten Morgen wieder in seinem Büro aufzutauchen und auszupacken – von einer Toten, die an eine Wand genagelt worden war, und dem Mörder, der sich eine Entschuldigung erkauft hatte.
– Er wollte was?
–
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