Sorry
willst, rede ich noch einmal mit deinen Freunden.
– Nein, es ist gut.
– Wirklich, ich kann - - -
– Du glaubst mir nicht, Gerald, sei doch ehrlich.
Er starrte in seinen Kaffee und schwieg. Frauke kramte in ihrer Tasche, dann legte sie ein Foto auf den Tisch. Sie hatte sich bis eben dagegen gewehrt, sie hatte nicht vorgehabt, ihre Mutter ins Spiel zu bringen.
Ich muß sie schützen.
– Ich habe nur noch das hier, sagte sie.
– Wer ist das?
– Meine Mutter. In der Papiertüte waren drei Fotos. Auf dem einen ist Tamaras Tochter zu sehen, wie sie vor dem Kindergarten auf einer Treppe sitzt, das andere Foto ist eine Aufnahme von Lutger, er ist der Vater von Kris und Wolf. Er tankt seinen Wagen auf. Aber dieses hier ...
Frauke tippte auf das Foto.
– ... hat der Killer bei meiner Mutter zu Hause gemacht.
– Lebt deine Mutter nicht in dieser Klinik in Spandau?
– In Potsdam. Sie hat dort eine Zweizimmerwohnung. Verstehst du, was ich sagen will? Meybach hat meiner Mutter gegenübergesessen, er muß mit ihr gesprochen haben. Er war da.
Gerald nahm das Foto nicht in die Hand, er berührte es mit dem Zeigefinger, mehr geschah nicht.
– Wieso hat er dir nicht ein Foto von deinem Vater geschickt? fragte er.
Frauke sah ihn an, als hätte er einen Scherz gemacht.
– Verarschst du mich?
– Nein, nein, ich meine das ernst, wieso macht er sich die Mühe, deine Mutter aufzusuchen?
– Woher soll ich das wissen?
Gerald schob ihr das Foto zu. Eine kleine Geste, aber Frauke wäre beinahe zurückgeschreckt. Ich kenne ihn erst seit zwei Jahren, und dennoch lese ich in ihm wie in einem Buch. Die Geste verriet ihr alles.
Er denkt, jeder hätte das Foto machen können. Auch ich.
– Meine Mutter weiß als einzige, wie Meybach aussieht, sagte Frauke und konnte es nicht vermeiden, daß ihre Stimme wütend klang. Meine Mutter saß diesem Mörder gegenüber, Gerald, sie wird sich erinnern. Wenn du mit ihr sprichst und wir eine Phantomzeichnung machen, dann - - -
Gerald schlug plötzlich mit der flachen Hand auf den Tisch, Frauke verstummte sofort.
– Hör mir zu, sagte er leise, nur damit wir uns wirklich verstehen. Ich mag dich sehr, ich stehe voll und ganz auf deiner Seite, aber ich habe mich schon weit genug aus dem Fenster gelehnt. Für mich kann das ganz schön kompliziert werden. Ich war bei euch im Haus, und du hast mich rausgeworfen; ich habe mir mit dir eine verlassene Wohnung angesehen und dann meine Männer ohne einen Durchsuchungsbefehl durch euren Garten gejagt, damit sie eine verdammte Grube ausheben. Und jetzt soll ich in einer Klinik eine Frau befragen, die seit über einem Jahrzehnt geistig gestört ist?
Es war plötzlich still um sie herum. Gerald hatte nicht bemerkt, daß er zum Ende hin laut geworden war. Er hatte nicht vorgehabt, sich gehenzulassen. Fraukes Blick sagte ihm alles. Er hatte sie verloren. Die Leute setzten ihre Gespräche fort. Frauke nahm das Foto vom Tisch und verstaute es in ihrer Tasche.
– Frauke, ich wollte nicht - - -
– Du hast recht, sagte sie und stand auf. Du hast dich weit genug aus dem Fenster gelehnt.
– Mach keinen Quatsch, wo willst du hin?
– Was denkst du denn, wo ich hin will? Ich fahre zu meiner geistig gestörten Mutter und frage sie, wer dieses Foto von ihr gemacht hat, antwortete Frauke, knöpfte ihren Mantel zu und verließ das Café.
Es ist Viertel nach zehn, und Frauke spürt ihre Beine nicht mehr. Der Boden zu ihren Füßen ist mit Kippen übersät. Sie weiß, wenn sie noch eine raucht, wird ihr der Magen hochkommen. Einer der Raben landet einige Meter von ihr entfernt in einer Wolke aus Schnee auf der Krummen Lanke. Er hackt zweimal in das Eis, duckt sich und fliegt wieder davon. Frauke sieht ihn über den See verschwinden, dann ist die Landschaft wieder reglos und still.
Als Kind dachte sie, alle Raben seien getarnte Schutzengel. Wenn sie jetzt darüber nachdenkt, weiß sie auch nicht, wie sie darauf gekommen ist. Sie erinnert sich aber, wie gut es ihr getan hat. Wann immer sie einen Raben sah, fühlte sie sich beschützt und sicher.
Ihre rechte Hand umklammert den Holzgriff in ihrem Mantel so fest, daß es schmerzt. Sie hat das Messer heute früh in einem Haushaltswarenladen auf der Schloßstraße gekauft. Es hat eine zweischneidige Klinge und liegt gut in der Hand. Heute wird mich kein Rabe beschützen, heute schütze ich mich selbst. Frauke sieht erneut auf ihre Uhr. Aus der Ferne erklingt das Dröhnen eines Motors. Der
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