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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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plötzlich ein komisches Gefühl. Es war eine von diesen Ahnungen, die durch alles hervorgerufen werden können – durch die Stille zwischen zwei Songs, das Räuspern des Kellners, scharrende Stuhlbeine oder das Schweigen, nachdem jemand sich eine Zigarette angezündet und den Rauch ausgeatmet hat.
    Sundance ging zu den Toiletten. Er wußte, daß Butch nicht mehr dasein würde. Durch ein Fenster oder eine Hintertür verschwunden. Für immer.
    – Bist du noch da?
    Stille. Über der Stille das Vibrieren der Lüftung, ein Husten aus der Bar, dann leise aus einer der Kabinen:
    – Ich komme gleich.
    – Ist alles in Ordnung?
    – Ich ...
    Butch verstummte, Sundance schaute unter die Kabinentüren und sah Butchs Schuhe. Er wartete darauf, daß Butch weitersprach.
    – ... ich kann nicht mehr, sagte Butch schließlich. Es ist so verdammt lange her ... und du ... du hast mir so gefehlt ... und ich ... ich kann dich ... ich kann dich nicht mehr ansehen ...
    Sundance fühlte plötzlich eine Leere im Kopf. Die Realität war da. Mit wehenden Fahnen und einer Armee von lärmenden Kriegern war sie einmarschiert und hatte ihn eingeholt, hier auf der Toilette einer Bar mitten in Berlin, an einem Tag wie jeder andere. Er lehnte den Rücken gegen die Kabinentür und hockte sich hin. Sie sprachen eine Weile nicht, dann stellte Sundance die Frage, um die er sich gedrückt hatte. Jahrelang. Was ist danach geschehen? Wieso haben wir uns verloren? Und Butch begann zu erzählen, gut verborgen und mit einer Tür zwischen sich und Sun dance.
     
    Sie holten ihn einmal im Monat. Zwölfmal im Jahr.
    – Am Anfang sammelten sie mich von der Straße auf. Weißt du, wie jemanden, der nicht weiß, wohin er will, und dann nimmt ihn jemand mit, der weiß, wohin er will. Genau so habe ich mich jedesmal gefühlt.
    Er erzählte von der Fahrt durch Berlin. Mit der Zeit war ihm jede Kreuzung und jede Ampelschaltung vertraut. Er zählte die Sekunden, er zählte die Passanten, er zählte seine Atemzüge. Sie sprachen nie mit ihm. Sie fuhren durch die Innenstadt nach Kreuzberg, dort hielten sie vor einem alten Mietshaus. Gegenüber ein Park. Butch hat nie erfahren, wie der Park heißt. Durch das Haus in den Hinterhof. Keine Sonne, nur Schatten, eine Reihe von Mülltonnen, Nachbarn hinter Gardinen, eine Katze, die davonhuschte, das vierte Stockwerk, die Treppen und dann die Wohnungstür. Kein Namensschild, keine Klingel. Flur. Küche. Bad. Alles verkommen und verdreckt, nur ein Zimmer nicht. Der Boden gewischt, die Fensterscheibe geputzt und mit Aussicht auf eine Fassade. Dorthin brachten sie ihn.
    – ... mußte immer vorgehen, dann schlossen sie die Zimmertürhinter sich und sprachen miteinander, als wäre ich nicht da, als wäre ich ein Geist.
    Er erinnerte sich an den Geruch in der Wohnung, den Gestank von angebratenen Zwiebeln und Fleisch, dazwischen der chemische Duft von Waschmitteln und abgestandenem Zigarettenrauch, als würde das Haus seinen Atem durch das Parkett nach oben in dieses eine Zimmer schicken. Und er erinnerte sich an die Fototapete. Ein Herbstbild mit Wald und See. Am Seeufer stand ein Hirsch. Als Butch diese Tapete zum er stenmal sah, strich ihm die Frau über den Kopf und sagte ihm, wenn er ein guter Junge wäre ...
    – ... Wenn ich ein guter Junge bin und mich strecke und rekke, dann komme ich auch bestimmt in den Himmel. An derselben Wand war ein Haken. Sie zogen mich aus, so daß mein Oberkörper nackt war. Dann banden sie mir die Hände zusammen und sagten, ich soll mich zum Himmel strecken. So hängten sie mich an den Haken. Ich konnte nur auf Zehenspitzen stehen, meine Füße berührten gerade eben den Boden, und ich weiß noch, wie ich dachte, woher wissen sie, wie groß ich bin? Sie machten Fotos von mir. Vorher und nachher , sagten sie und zogen mir den Rest meiner Sachen aus, während ich dort hing. Sie sagten: Wir wollen ja nicht, daß deine Eltern schlecht von uns denken. Das war einer ihrer Scherze. Sie sagten das oft. Als wüßten meine Eltern, was mir passierte. Wenn ich dann nackt war, wuschen sie mich, denn ich mußte sauber sein. Sie wuschen mich davor und danach. Sie nahmen warmes Wasser, das sie in einem Wasserkocher erhitzten. Sie spielten dabei an mir herum und sagten, ich solle hinschauen, denn so würde man das machen, aber ich habe versucht wegzusehen ...
    An der Zimmerdecke war der Stuck so oft übermalt, daß die Form sich aufgelöst hatte. Der Stuck erinnerte an ein Geschwür, das weiß und bleich aus

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