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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Schule, auf der Straße oder im Supermarkt, aber sich sehen reichte nicht. Sie verloren sich, ohne daß jemals der Blickkontakt abbrach.
    Sundance hat nie verstanden, wie das geschehen konnte. Er hätte damals einen Rat gebraucht oder mit jemandem sprechen müssen. Wenn die Eltern nach Butch fragten, wechselte er das Thema. Sundance bewegte sich in seiner Hilflosigkeit immer weiter weg von seinem besten Freund.
    Butch dagegen verdrängte so viel, daß Sundance zu einer Nebensächlichkeit wurde. Den Großteil seiner Teenagerzeit blieb er für sich und wurde zu einem Krebs, der im Rückwärtsgang von der Bildfläche des Lebens verschwand, bis jeder vergessen hatte, daß er jemals dagewesen war. Die Eltern, die Freunde und zum großen Teil auch er selbst. Auf diese Weise zerbrach die Freundschaft zwischen Butch und Sundance, so wie Jugendfreundschaften oft zerbrechen – ohne Worte, ohne viel Sinn.
    Sie verloren sich für ganze zwölf Jahre aus den Augen.
    Stell dir vor, du sitzt in einem Zug und fährst eine Strecke entlang, die aus vorbeihuschenden Tagen und Wochen besteht. Der Zug hält nicht. Rauschende Monate, donnernde Jahre. Du spürst den Nachhall im Kopf. Es zieht im Gesicht, und die Geschwindigkeit macht jede Bewegung schwer, denn Zeit will beachtet werden, Zeit will immer beachtet werden. Sun dance erfuhr sehr früh, wie schlimm jede noch so kleine Zeitspanne sein kann, wenn man einen Menschen vermißt. Er ist dort gewesen, er hat dort gehaust. Er fand zwar neue Freunde, aber in seiner Erinnerung blieb immer ein Zimmer, das nur für Butch und ihn reserviert war. Dieses Zimmer staubte ein und sah kein Licht mehr.
     
    Butch zog nach dem Schulabschluß in den Charlottenburger Kiez, während Sundance in Zehlendorf blieb und weiter bei seinen Eltern wohnte. In den darauffolgenden Jahren liefen sie sich kein einziges Mal über den Weg. Ab und zu hörten sie über Freunde voneinander, mehr geschah nicht. Bis zu jenem Samstag abend, an dem es sie beide in einen Berliner Bezirk verschlug, in dem sie vorher noch nie gewesen waren. Köpenick.
    Sie besuchten eine Party. Butch hatte einer Freundin versprochen, sie zu begleiten, während Sundance einem Kumpel einen Gefallen tat und ihn abholte. Es gab an dem Tag so viele Umstände, die nicht zusammenpaßten und dennoch dazu führten, daß Butch und Sundance wieder aufeinandertrafen. Wahrscheinlich ist das eine der vielen Regeln, die das Leben sich ausgedacht hat, um uns aus dem Gleichgewicht zu bringen.
    Es geschah im Hausflur. Musik dröhnte im Hintergrund, ein Nachbar in Badelatschen bat um Ruhe, und ein paar Mädchen reichten kreischend eine Perücke herum, während die Jungs auf den Stufen herumsaßen und den Mädchen zuriefen, wie häßlich sie aussähen. In diesem Chaos kam Sundance die Treppe nach oben, während Butch gerade nach unten ging. Sie erkannten einander sofort. Als wären zwölf Jahre eine Distanz, die mit wenigen Schritten überwunden werden kann.
    Butch war dürr und hochgewachsen, so daß er Sundance um einige Zentimeter überragte. Aber das Gesicht, niemals würde Sundance dieses Gesicht vergessen. Als würde Butch nie genugSchlaf bekommen. Sundance dagegen sah aus wie immer. Dachte er zumindest, doch Butch sah die Veränderung sofort. Hatte Sundance während der Kindheit noch dieselbe Naivität wie sein Freund besessen, so war sie vollkommen verschwunden. Sun dance schien zielstrebig, er wollte etwas vom Leben.
    – Upsa, sagte Butch.
    Und Sundance lachte los.
     
    Der Abend endete in einer Bar in Schöneberg, in der sie Cocktails tranken und den Zufall nicht fassen konnten. Sie sprachen über alles, was vor dem Zusammentreffen mit Karl und Fanni stattgefunden hatte. In ihren Erzählungen endete die Erinnerung an ihre Kindheit mit dem Tag auf der Baustelle. Die Zeit danach war eine Leerstelle. Sie gehörte einem anderen Butch und war Teil eines anderen Sundance. Es gab nur ein Danach – nach der Schule, nach dem Führerschein. Sie stöhnten über den Zivildienst und fragten sich, was der und der jetzt wohl taten.
    Fanni und Karl wurden mit keinem Wort erwähnt.
    Diese Fassade hielt bis zum Morgengrauen. Bis Butch sagte, er könne nicht mehr trinken, seine Blase wäre kurz vorm Platzen. Sundance blieb allein am Tisch, während Butch auf die Toilette ging. Sundance war angenehm betrunken. Er beugte sich ein wenig vor, um den Morgenhimmel besser durch die Frontscheibe zu sehen. Und während er dort voller No stalgie den neuen Tag beobachtete, hatte er

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