Sorry
frischgebackenen Brötchen und aufgebrühtem Kaffee läßt deinen Magen rumoren. Du sagst guten Morgen und tust, als würdest du die Auslage studieren. Im Hintergrund läuft ein Radio, irgendwo in Berlin sind die Matratzen so billig geworden, daß niemand es glauben kann. Du wählst ein Baguette mit Käse und einen Kaffee zum Mitnehmen. Der Verkäufer packt das Baguette ein und drückt einen Plastikdeckel auf deinen Kaffee. Du rundest auf, gibst ihm fünfunddreißig Cent Trinkgeld, und ihr verabschiedet euch voneinander.
Die Tauben sind verschwunden, obwohl die Ampel auf Rot steht. Du überquerst die Straße und setzt dich in deinen Wagen. Du hältst den Kaffeebecher in beiden Händen und legst den Plastikdeckel auf dein rechtes Knie. Es überrascht dich, daß du so ruhig bist. Der Kaffee im Becher zittert nicht.
Sein Name ist Karl Fichtner. Ihm gehören vier Bäckereien im Norden von Berlin. Nur in dieser einen hier hilft er morgens von fünf bis sieben aus und erledigt danach die Brotlieferung für die anderen Bäckereien. Seine Arbeit endet um zwei Uhr nachmittags. Er weiß nicht, daß das heute sein letzter Arbeitstag ist.
Du wartest in dem Restaurant, in dem er zu Mittag ißt. Du sitzt an seinem Tisch, aber nicht auf seinem Platz. Du hast Mineralwassergetrunken und durch das Fenster die Straße beobachtet. Er sieht dich erst, nachdem er dem Kellner die Hand geschüttelt hat. Du nickst ihm zu, er zögert, du lächelst. Du kannst gut lächeln.
Fichtner ist jemand, der erst spricht, nachdem er sich überlegt hat, was er sagen will. Jemand, der sein Wort ungern zurücknimmt. Er setzt sich zu dir, öffnet sein Jackett und stützt die Unterarme auf die Tischplatte. Er sieht dich dabei an, seine Hände liegen ineinander. Er hat ein kleines Tattoo auf seinem Unterarm. Es ist ein Edelweiß.
Du schweigst, du hast gelernt zu warten. Nach einer Pause räuspert Fichtner sich und fragt, ob ihr euch kennen würdet. Er wirkt müde, aber du wärst wahrscheinlich auch müde, wenn du jeden Tag um fünf die Brötchen in den Ofen schieben würdest. Dir gefällt die Tatsache, daß Fichtner dir dieselbe Frage stellt wie Fanni vor einer Woche.
– Wir kennen uns von früher, antwortest du und schiebst ihm das Foto zu.
Fichtner nimmt es in die Hand. Er blinzelt nicht, es wirkt, als hätte er aufgehört zu atmen. Der Kellner kommt, Fichtner ignoriert ihn, der Kellner macht auf dem Absatz kehrt. Fichtner hält das Foto ein wenig schräg, damit es das Licht auffängt, dann legt er es wieder auf die Tischplatte und sagt:
– Es ist so lange her.
– Ewigkeiten, stimmst du ihm zu.
Seine Augen scheinen sich über deine Augen zu legen. So fühlt es sich an. Als würde sein Blick dich berühren. Die Narbe auf seiner Wange steht jetzt weiß hervor.
– Du warst noch ein Kind, sagt Fichtner. Du warst - - -
Und dann beginnt er zu weinen, das Kinn sinkt ihm auf die Brust, es ist beschämend. Er schlägt sich nicht einmal die Hände vors Gesicht. Keine Würde, nur ein hektisches Schluchzen. Und dann die Tränen. Du siehst dich um. Du hoffst, daß jeder diesen peinlichen Moment mitbekommt.
Wie so oft in den letzten Tagen fragst du dich, was Butch und Sundance jetzt tun würden. Was wäre, wenn? Es ist ein albernes Spiel, denn Butch und Sundance gibt es nicht mehr. Sie sind ausdem Gedächtnis der Zeit gelöscht worden, und es ist dieser Verlust, den du dir nicht verzeihen kannst. Dir nicht und der Gesellschaft nicht, und falls es irgendwo einen Gott gibt, dann ist er der letzte, dem du das verzeihen würdest. Aber wie du es auch drehst und wendest, wir kommen immer wieder zu der Einsicht zurück, daß es Menschen gibt, die keine Vergebung verdienen. Menschen, denen du begegnet bist.
Einer davon ist tot, der andere sitzt dir gegenüber und weint.
Vielleicht aus Scham? Vielleicht weint er um den Verlust? Jede verlorengegangene Unschuld ist ein Verlust. Butch und Sundance sind an dem Tag verlorengegangen, an dem sie Karl und Fanni zum zweitenmal begegnet sind. Das erste Mal kamen sie mit Blessuren davon. Insbesondere Butch. Wunden, die Narben geworden wären. Aber nicht mehr, eben nur Wunden. Das zweite Mal wurden die Freunde über eine unsichtbare Barriere hinweggestoßen und verschwanden haltlos im Nichts. Dunkelheit, Leere. Es war ein bedeutungsloser Tag in der Weltgeschichte, und nichts und niemand kann dir diesen Tag zurückgeben.
Nachdem sie Butch das zweite Mal geholt hatten, sahen die Freunde sich zwar weiterhin in der
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