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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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bitte, ich erklär es dir, sobald wir allein sind, bis dahin mußt du deine Klappe halten. Wir essen zusammen zu Abend, wir verhalten uns normal, dann wird das Telefon klingeln, und Lutger wird dran sein.
    – Wieso sollte euer Vater - - -
    – Weil ich ihn gebeten habe, daß er anruft. Lutger wird fragen, ob Wolf für ein paar Stunden vorbeikommen könnte. Wolf wird nicht nein sagen, er wird sich mit Lutger treffen.
    – Und dann?
    – Und dann fahren wir beide weg.
    – Und ich tippe, du sagst mir nicht, wohin?
    – Und ich sage dir nicht, wohin.
    Das Telefon klingelt um Punkt neun, Tamara reicht den Hörer an Wolf weiter. Wolf ist so überrascht von dem Anruf, daß er seinen Vater mehrmals fragt, ob auch wirklich alles in Ordnung sei, bevor er sich verabschiedet und zu ihm fährt.
    Fünf Minuten später sitzen auch Kris und Tamara im Wagen.
    – Und?
    – Noch nicht.
    – Wie, noch nicht? Wolf ist weg, wir sind allein.
    Kris sieht sie nicht an, fährt durch das Eingangstor und hält davor.
    – Schließt du das Tor?
    – Erst wenn du mir eine Antwort gibst.
    Tamara sieht ihn abwartend an, Kris seufzt, schnallt sich ab und steigt aus dem Wagen. Nachdem er das Tor geschlossen hat, kehrt er zum Wagen zurück und schnallt sich wieder an.
    – Ich weiß, warum du es mir nicht sagen willst, sagt Tamara. Weil ich sonst nicht mitkomme, richtig?
    – Richtig. Bist du zufrieden?
    – Kris, was hast du vor?
    – Vertrau mir, du wirst mich danach verstehen.
    – Meinst du?
    – Ich weiß es.
    Kris fährt, an der Kreuzung vom S-Bahnhof Wannsee hält er an der Ampel, sieht in den Rückspiegel, sieht wieder nach vorn. Tamara nimmt keine Sekunde den Blick von ihm.
    – Könntest du bitte aufhören, mich anzustarren?
    – Ich starre nicht.
    – Tamara, bitte.
    – Ich habe nicht gestarrt, wiederholt Tamara und hört auf, ihn anzustarren.
     
    Zehn Minuten später fragt Kris:
    – Wie schlimm war es?
    – Du hast gefehlt.
    Kris reagiert nicht.
    – Frauke hätte gewollt, daß du da bist.
    – Tammi, sie wollte verbrannt und über den Lietzensee verstreutwerden. Das ist es, was sie wollte. Also sag, was du wirklich sagen willst.
    – Ich hätte gewollt, daß du da bist.
    – Danke.
    Sie schweigen. Die Dämmerung ist einer tiefschwarzen Nacht gewichen, und die Lichter über Berlin wirken wie ein konstantes Wetterleuchten. Tamara weiß aus Erzählungen, daß früher die gesamte Avus beleuchtet war und daß dort Autorennen stattgefunden haben. Die Laternen stehen zwar noch, sie sind aber seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr eingeschaltet worden. Die Tribünen sind verkommen und erinnern an die Traurigkeit verfallener Häuser. Hinter den Tribünen ragt der Funkturm als glitzernder Strich in die Dunkelheit, seine Spitze ist von einer Dunstglocke umschlossen und sieht aus wie die eines Leuchtturms. Tamara rutscht tiefer in den Sitz und spürt die Erschöpfung. Zehn Stunden zuvor stand sie an Fraukes Grab, hatte danach am Ufer des Lietzensees Sex mit Wolf und sitzt jetzt mit Kris im Wagen und weiß nicht, wohin es geht. Tamara wünscht sich, Wolf wäre dabei.
    – Wie lange noch? fragt sie.
    – Eine Viertelstunde.
    Kris biegt von der Avus auf die Stadtautobahn ab.
    Tamara schließt die Augen.
     
    – Tammi, werd wach.
    Sie setzt sich mit einem Ruck auf, für einen Moment ist sie ohne Orientierung, dann kneift sie die Augen ein wenig zusammen, um besser sehen zu können, wo sie jetzt sind.
    – Du solltest dir eine Brille besorgen.
    – Ich habe eine Brille. Zum Lesen. Das reicht.
    Tamara schaut hinter sich. Eine Mauer, Bäume.
    – Wo sind wir?
    Sie steigen aus, und Tamara erkennt, wohin Kris sie gebracht hat.
    – Du machst Witze, oder?
    – Laß uns nach oben gehen.
    – Kris, ich rühr mich nicht von der Stelle, bis du mir gesagt hast, was wir hier verloren haben.
    – Bitte, komm mit nach oben, dann - - -
    – Sag mal, bist du taub? unterbricht Tamara ihn und wirft einen Blick auf ihre Uhr. Ich gebe dir zwei Minuten, dann fahre ich mit der S-Bahn nach Hause.
    Kris sieht sie nur an. Tamara fürchtet diesen Blick. Sie weiß nicht, was er denkt und ob er überhaupt denkt. Der Fisch aus dem Aquarium mit seinem starren, unnahbaren Blick kommt ihr in den Sinn. Ich habe mit deinem Bruder geschlafen! will sie ihm zurufen. Kris nickt einmal unmerklich, als hätte er eine Entscheidung getroffen, und geht zum Kofferraum. Er wartet, bis Tamara neben ihm steht. Einen grausamen Moment lang ist sie sich sicher, daß die Leiche der Frau wieder im

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