Sorry
solle, daß du schuldlos bist an Fraukes Tod. Das reicht dir. Du unterbrichst die Verbindung, schaltest das Handy aus und betrachtest Fichtners Leiche. Dieses Mal wirst du sie nicht saubermachen, wie du es bei Fanni getan hast. Sie sollen sehen, wozu du fähig bist. Bestimmt kannst du dir damit ein wenig Respekt verschaffen. Kris Marrers Tonfall hat dir gar nicht gefallen.
Nach einer Weile stehst du auf und wäschst dir im Bad das Gesicht. Dein linkes Ohr ist geschwollen, und da ist ein haarfeiner Riß an deiner Stirn. Du ziehst Pullover und T-Shirt aus und benutzt das T-Shirt als Handtuch. Danach fühlst du dich besser.
Tu es .
Du siehst auf. Nervös, beinahe schon fiebrig. Für einen Moment zucken deine Augen zur Seite, dann begegnest du deinem eigenen Blick, und es ist wie eine Wiedervereinigung. Du bist wieder du. Danke. Es tut so gut, es ist ein wunderbares Gefühl. Du hast dich vermißt. Danke. Du wußtest nicht, wie du dich finden solltest. Das war der Weg. Selbst die Tränen freuen dich, Tränen der Erleichterung. Für Minuten lehnst du an diesem Waschbecken und siehst dir beim Weinen zu. Freudentränen. Danke. Danach verläßt du die Wohnung, ohne die Tür hinter dir zu schließen. Es ist vorbei. Es gibt keine Verbindung mehr, die Brücken sind gesprengt, die Schuld ist verschwunden. Aus.
TEIL VI
danach
Ich weiß noch, wie wir dachten, es wäre vorbei. Ich erinnere mich noch genau an die Erleichterung, die wir verspürten. Hinter all der Wut und Ratlosigkeit steckte immer noch der Glaube an das Gute. Wir waren so naiv. Wir waren so verdammt naiv.
Ich habe das Ruhrgebiet jetzt hinter mir gelassen und fahre an Saarbrücken vorbei weiter nach Singen. Vor Jahren sind wir zum Bodensee gereist, weil dort eine große Party steigen sollte und ein Freund von Frauke uns ein Ferienhaus versprochen hatte. Die Party fand nie statt, das Ferienhaus war eine Hütte ohne Toilette, aber wir blieben dennoch zehn Tage, spielten Kommune und verbrachten zusammen einen großartigen Sommer. Vielleicht finde ich die Hütte ja wieder. Vielleicht lege ich mich auf eine der muffigen Matratzen und hole den Schlaf nach.
Es ist der Morgen des vierten Tages. Ich weiß nicht, ob ich schon gesucht werde. Wann fällt der Polizei ein ordentlich geparkter Wagen auf? Ich habe an alles gedacht. Ich habe die Papiere, ich habe die Erklärungen, selbst den Erste-Hilfe-Kasten habe ich auf den Rücksitz getan, falls jemand ihn sehen will. Niemand wird in den Kofferraum schauen. Ich fühle mich sicher, auch wenn das absurd klingt, fühle ich mich absolut sicher. Als würde eine schützende Hand über mir schweben. Die Gerechtigkeit. Ich wünschte nur, sie würde mich nicht nur schützen, sondern mir auch einen Kurs anzeigen.
Auf einem Rastplatz mit Toiletten wasche ich mich unter den Achseln, meinen Oberkörper und die Arme. Am Wagen mache ich ein paar Dehnübungen. Der Nacken und der Rücken schaffen mich am meisten. Mir fehlt ein Bett. Mir fehlt die Trauer. Mir fehlt eine große Pause. Ich weiß nicht, wann das alles kommen wird. Wut und Verzweiflung dominieren. Ich will mich bei niemandem melden, denn das hier ist meine Aufgabe. Mein einziger Kontaktsind die Menschen an den Kassen der Tankstellenshops. Was im Kofferraum liegt, ist kein Mensch. Ich bin allein mit ihm auf der Welt und weiß, wenn die Trauer sich nach oben kämpft und die Oberhand gewinnt, dann werde ich ihn umbringen. Ich glaube, so wird es sein. Ich werde ihn einfach umbringen.
Und vielleicht habe ich ein wenig Glück und finde diese Hütte.
davor
TAMARA
Tamara und Wolf treffen auf einen schweißnassen Kris, der nur in seinen Shorts im Wohnzimmer sitzt und Mineralwasser aus einer Flasche trinkt. Im gesamten Erdgeschoß herrscht eine Gluthitze, obwohl die Fenster weit geöffnet sind. Kris fragt nicht, wie es auf der Beerdigung gewesen ist. Er sieht sie an, als wäre er überrascht, daß sie schon zurück sind.
– Stören wir? sagt Wolf.
– Wieso solltet ihr stören? fragt Kris zurück.
Wolf geht nach oben, um sich umzuziehen. Als er das Wohnzimmer verlassen hat, zeigt Kris mit dem Kinn auf die Tür.
– Machst du mal zu.
Tamara schließt die Tür und lehnt den Rücken dagegen. Er weiß, daß wir Sex hatten , denkt sie, er kann es uns von den Gesichtern ablesen, und wahrscheinlich wußte er schon die ganze Zeit, daß zwischen Wolf und mir etwas passieren wird.
– Ich brauche deine Hilfe, sagt Kris, und Wolf darf nichts davon erfahren.
– Aber - - -
– Tamara,
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