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SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

Titel: SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
Autoren: Michael Winterhoff
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diese Voraussetzung nicht mitbringen, also keine Schulreife aufweisen, gehen solche Theorien an der Wirklichkeit vorbei.
    Ich zitiere an dieser Stelle noch einmal aus dem oben angeführten Protokoll. Eine Volksschuldirektorin sagt dort:
    »Eine engagierte Lehrerin mit guter Beziehung zu den Kindern holt sicherlich auch sprachlich wesentlich mehr heraus, als wenn es eine gestörte Beziehung zu einem Lehrer gibt, der ein ganz tolles Konzept hat.«
    Das Zauberwort heißt also »Beziehung«. Der Lehrer kann noch so tolle Konzepte haben, er kann auch noch so viel über Hirnforschung wissen, er wird die Kinder nicht erreichen, wenn es ihm nicht möglich ist, sie auf sich zu beziehen. Das wissen auch Hirnforscher, wenn beispielsweise einer der Stars der Zunft, Gerhard Roth, im Interview sagt: »Wir lernen, weil es wichtig ist, uns inhaltlich etwas sagt oder weil wir an den Lippen des Lehrers hängen.« 2
    Hier ist er wieder – der Lehrer als Bezugsperson. Das »Hängen an den Lippen des Lehrers« kann indes nur funktionieren, wenn es dem Lehrer überhaupt erlaubt ist, den Schüler auf sich zu beziehen. Moderne Lernkonzepte fordern jedoch häufig das Gegenteil: Der Lehrer soll sich aus der Beziehung zurückziehen und höchstens noch als Berater fungieren, der aktiv von den Schülern angesprochen werden muss. Darüber hinaus muss auch die Voraussetzung gegeben sein, dass der Schüler psychisch in der Lage ist, den Lehrer als Bezugsperson zu erkennen.
    Hier entsteht nun häufig ein Teufelskreis: Der Entwicklungsstand des Schülers erlaubt es ihm kaum, den Lehrer als Lehrer zu erkennen, gleichzeitig darf der Lehrer aber nichts unternehmen, um den Schüler stärker auf sich zu beziehen und so auf die Entwicklung seiner psychischen Reife einzuwirken. An dieser Stelle kommt man mit den Erkenntnissen der Hirnforschung und der Lerntheorie nicht entscheidend weiter, um den betroffenen Kindern zu helfen und die Zustände an den Schulen zu verbessern.

Die Kinder von heute sind die Erwachsenen von morgen
    Wenn wir im Alltag mit anderen Menschen umgehen, erwarten wir mit Fug und Recht, dass dieser Umgang von einer gewissen Höflichkeit geprägt ist. Ich spreche nicht, wenn jemand anderer spricht, sondern lasse den anderen ausreden. Ich versuche, in Konflikten sachlich zu bleiben, und belege den anderen nicht mit Schimpfwörtern. Allgemeiner gesprochen: Ich achte andere Menschen und erwarte das Gleiche in Bezug auf mich selbst.
    All das erscheint uns selbstverständlich, und kaum jemand reflektiert, warum wir eigentlich diese Erwartung hegen und woraus diese Fähigkeiten bei Erwachsenen resultieren. Es macht sich niemand Gedanken darüber, ob wir all das als Kinder auch schon im gleichen Maße konnten, sondern wir halten es mittlerweile für angeboren.
    Denkt man allerdings näher drüber nach, wird einem schnell klar, dass Fähigkeiten wie Höflichkeit, Rücksichtnahme und Respekt keineswegs angeboren, sondern erworben sind. Erworben in Kindheit und Jugend, Schritt für Schritt, auf dem Weg zu einem emotional und sozial ausgereiften Erwachsenen.
    Anhand der Entwicklungspyramide habe ich bereits beschrieben, welche Stufen die menschliche Psyche im Laufe ihrer Entwicklung erklimmen muss, und ich habe auch erläutert, dass das Erreichen dieser Stufen immer nur über die Beziehung läuft. Die kindliche Psyche entwickelt sich am erwachsenen Gegenüber. Diesen Satz sollte sich jeder, der mit Kindern umgeht, immer und immer wieder in Erinnerung rufen.
    Wenn wir die Erkenntnis ernst nehmen, dass Erwachsene als Bezugspersonen für Kinder und als Orientierungspersonen für deren psychische Entwicklung von entscheidender Bedeutung sind, dann muss uns auch klar sein, dass jede unserer Handlungen gegenüber Kindern eine Bedeutung für ihre Zukunft hat. Das Verhalten, das Eltern, Großeltern, Lehrer und Erzieherinnen heute an den Tag legen, beeinflusst das Verhalten, das Kinder und Jugendliche in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren als Erwachsene zeigen werden.
    Auch die Kinder von heute werden arbeiten müssen, um durchs Leben zu kommen, sie werden Beziehungen führen wollen, um mit einem Partner und eventuell eigenen Kindern glücklich zu werden. Damit das wirklich gelingt, benötigen sie emotionale und soziale Intelligenz und Kompetenz. Die entscheidende Frage lautet also: Leisten wir Erwachsene diese Entwicklungsbegleitung über die Beziehung heute noch in ausreichendem Maße? Die Antwort lautet immer öfter: Nein.
    Immer mehr Erwachsene leben
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