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SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

Titel: SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
Autoren: Michael Winterhoff
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verzeichnen. Dazu zählt das phonologische Bewusstsein, aber auch das Symbolverständnis. Es bestehen Speicherschwächen im auditiven und visuellen Bereich, und es gibt kaum mathematische Früherfahrungen – im Mengenbegriff, in der Serialität und in der Raumlage.
    Zum zweiten Problemfeld, motorische Kompetenzen: Es gibt immer größere Schwierigkeiten mit den altersadäquaten fein- und grobmotorischen Fähigkeiten. Es gibt im Schulalltag eine große Bewegungsungeschicklichkeit. Die Kollegin vor mir hat das schon angesprochen: Es ist nicht nur das Masche- [Schnürsenkel-]Binden, es ist das Schreiben entlang einer Linie, das Halten eines Stiftes, das Halten einer Schere, das Schreiben in Kästchen etc.
    Probleme sind: Bewegungsblockaden, mangelnde Ausdauer, geringe Selbstständigkeit und vor allem Störungen der Basissinne und der Körperwahrnehmung – und das ist ein ganz wichtiger Punkt! Erst wenn Kinder sich sicher spüren und bewegen können, werden sie volle Konzentration für ihren Alltag und die schulischen Tätigkeiten nutzen können.
    Das dritte Problemfeld betrifft die sozialen Kompetenzen. Es bestehen Sozialisierungsmängel und teilweise Regelabsentismus. Bereits in der Volksschule gibt es traumatisierte Kinder, und es steht die Grenzenlosigkeit der Interaktionsfähigkeit entgegen. Das heißt, die fehlenden grundlegenden Dinge des Zusammenlebens machen das Arbeiten in den Schulklassen immer schwieriger und schwieriger. Die Aufmerksamkeitsdefizite und Beziehungsarmut, mit denen Kinder oft in die Schule kommen, erfordern von unseren KollegInnen, sich zu einem Beziehungsoktopus zu entwickeln, denn die Kinder kommen teilweise aus wohlstandsverwahrlosten Verhältnissen, aus Verhältnissen der Armut, der Verwahrlosung, und in jedem Fall ist die Lehrerin als Beziehungsquelle gefordert.«
    Gerade diesen Abschnitt des Protokolls zitiere ich so ausführlich, weil er hervorragend zusammenfasst, mit welchen Phänomenen jeder, der mit Kindern zu tun hat, heute in immer stärkerem Maße konfrontiert wird, ohne dass es wirklich opportun wäre, das öffentlich anzusprechen. Der Mangel an sozialer Kompetenz wird im dritten benannten Problemfeld explizit angesprochen, ist aber aus entwicklungspsychologischer Sicht eben auch mitverantwortlich für die Defizite in den anderen Bereichen.
    Wer das liest und sich darüber hinaus immer wieder mit Lehrern – egal, ob in Deutschland oder in Österreich – unterhält, kann die Probleme nicht leugnen. Es trägt auch nicht zur Beruhigung bei, wenn in großen Artikeln über Schule und Bildung auf ganz andere Dinge abgestellt wird, die scheinbar das Allheilmittel sind, um Kinder und Schulen gleichermaßen zu retten. Für diese Allheilmittel gelten keine Denkverbote, denn sie sind Trend. Den Trend kennzeichnet, dass jeder ihn kritiklos und ungeprüft beziehungsweise undurchdacht weiterverbreiten darf, ohne dafür gescholten zu werden. Die Thesen, die den Trend ausmachen, gelten als fortschrittlich und modern und sind damit über jeden Verdacht erhaben, nicht den Kern der Sache zu treffen.
    Solch ein Trend ist seit mehreren Jahren beispielsweise die Hirnforschung. Die Berichterstattung ist zumindest zum Teil derart euphorisch, dass man meinen sollte, wir könnten uns alle zurücklehnen, bis die Hirnforschungs-Experten alle Schwachstellen des Bildungssystems ausgemerzt haben. Seltsamerweise werden aber trotzdem Problembeschreibungen von Lehrern, wie ich sie oben zitiere, immer häufiger.
    Woran liegt das?
    Im Prinzip sehen wir das gleiche Phänomen wie bei pädagogischen Modellen. Der Hirnforscher macht sich lobenswerte und interessante Gedanken darüber, wie Lernprozesse funktionieren und wie Wissen vermittelt wird. Dazu werden viele bunte Bilder von Gehirnen publiziert, bei denen man das Gefühl vermittelt bekommt, endlich sehen zu können, wie der Mensch denkt. Die Aussagen, die dort getroffen werden, sind im Großen und Ganzen zustimmungsfähig, auch wenn aus medizinischer Sicht nicht alles so revolutionär ist, wie es im ersten Moment klingen mag. Nur: Hirnforscher befassen sich im Allgemeinen nicht mit Entwicklungspsychologie. Sie sehen daher die Problematik eher auf der Ebene des Lernens und damit der Lerntheorie. Ihre Theorien zum wirkungsvolleren Lernen können allerdings nur dann greifen, wenn Kinder psychisch altersgemäß entwickelt und damit in der Lage sind, die Wissensvermittlung durch den Lehrer, gleich in welcher Form, wahrnehmen zu können. Da aber immer mehr Schüler
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