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SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

Titel: SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
Autoren: Michael Winterhoff
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Leseecke, Bastelecke, Turnecke, Spielzeugecke, die Erzieher leiten nicht an, sondern kommen dazu, wenn Kinder entschieden haben, was sie machen wollen. Kinder, die nicht teilnehmen wollen, können einfach weiterspielen. Die Erzieherinnen scheinen damit glücklich zu sein, eine einzige sagte uns: ›Ich weiß gar nicht, für was ich eine wirklich tolle Ausbildung gemacht habe. Ich bin ja nur noch Aufpasser.‹ Einen Wochenplan gibt es nicht mehr, da gar nichts mehr geplant wird. Die bisherigen Gruppen finden sich nur noch beim Mittagessen zusammen.«
    Das klingt vielleicht beim ersten Lesen gar nicht mal so dramatisch. Die Kinder entscheiden selbst, werden befähigt, Wissen und Können zu erwerben, sie dürfen den ganzen Tag spielen und sich aussuchen, was sie machen wollen. Ein aktuelles Beispiel für solche »modernen« Konzepte, von dem ich in letzter Zeit immer wieder höre, ist die Einrichtung sogenannter »Cafés« oder »Bistros« im Kindergarten. Die feste Zeit, zu der gemeinsam gegessen wird, ist komplett aufgehoben, die Kinder können nach Belieben ins »Café« kommen, um zu trinken und zu essen, wann und mit wem sie wollen. Notfalls eben auch allein. Die Erzieherin öffnet höchstens noch die Saftpackung. Klingt nach Paradies? Ist es aber nicht.
    Es ist von außen erst einmal gar nicht so einfach zu erkennen, warum die Idee der »Cafés« im Kindergarten ein weiterer Schritt in die falsche Richtung ist. Es kommt hier zu einer Verwechslung zweier Begriffe, die ganz unterschiedliche Dinge beschreiben. Die Verfechter des Konzeptes argumentieren damit, dass solche Angebote die Selbstständigkeit der Kinder fördern. Sie sollen nicht von außen gezwungen werden, zu essen oder zu trinken, obwohl sie vielleicht gerade gar keinen Hunger oder Durst haben. Das ist aber gar nicht der entscheidende Punkt.
    Tatsächlich verwechseln die Anhänger dieser Konzepte Selbstständigkeit mit Selbstbestimmung. Die Kinder agieren nicht selbstständig, sondern sie verhalten sich wie Säuglinge: Der Säugling befindet sich auf einer psychischen Entwicklungsstufe, in der er ganz natürlich immer selbst den Zeitpunkt bestimmt, zu dem er trinkt. Kindergartenkinder stehen aber auf einer höheren Stufe der Entwicklungspyramide. Ein fünfjähriges Kindergartenkind, das morgens um halb neun ein leichtes Hungergefühl äußert, ist durchaus in der Lage, auf das gemeinsame Frühstück um neun Uhr zu warten. Die Entwicklungsstufen, die ich in der Pyramide beschrieben habe, sind jedoch scheinbar für Erzieherinnen kein Thema mehr.
    Dass Kindergartenkinder damit auf der psychischen Entwicklungsstufe eines Säuglings verharren, ist nicht das einzige Problem des »Café«-Konzepts. Darüber hinaus sind die Kinder in diesem Konzept weitgehend sich selbst überlassen. Die Erzieherinnen verlieren das Gespür dafür, dass es beim gemeinsamen Frühstück weniger um den Akt des Essens und Trinkens an sich geht, sondern um die Förderung des sozialen Miteinanders. Diese Förderung findet nicht statt, wenn jedes Kind isst und trinkt, wann und wo es möchte. Es gibt sie nur, wenn die Erzieherinnen aktiv die Frühstücksrunde zusammenrufen und gemeinsam mit den Kindern Getränke und Essen zubereiten und anschließend auf den Tisch stellen. Und es ist ja auch keineswegs verboten, wenn sie die Selbstständigkeit der Kinder fördern, indem sie den Kleinen erlauben, sich den Saft selbst in den Becher zu gießen.
    Diesen Unterschied zwischen Selbstständigkeit und Selbstbestimmung sollten Erzieherinnen und Erzieher verstehen. Ein Kind, das in offenen pädagogischen Konzepten häufig sich selbst überlassen wird, lernt dadurch nicht automatisch Selbstständigkeit, sondern es wird dazu animiert, sich wie auf einer viel früheren Altersstufe selbstbestimmend zu verhalten. Die Entwicklung sozialer und emotionaler Kompetenz wird damit ganz klar behindert.
    An diesem Beispiel des beschriebenen Kindergartens lässt sich die Tragik der Situation gut zeigen. Natürlich nimmt die Kindergartenleitung Veränderungen nicht deshalb vor, damit am Ende eine Verschlechterung herauskommt. Verbesserungen sind immer das Ziel, und auch in diesem Fall ist der Glaube an die Richtigkeit dieser Veränderungen vermutlich groß. Aber allein das ist schon tragisch. Der Kindergartenleitung ist ihre Einrichtung keineswegs egal, im Gegenteil: Sie ist engagiert, beschäftigt sich mit neuen pädagogischen Ansätzen, denkt über Verbesserungen nach und wird selbst aktiv. Redet also nicht nur,
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