SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
als Bezugsperson hat, das ihm Konstanz, Halt und Sicherheit gibt. Wenn man das konsequent weiterdenkt, sind wir damit auf dem besten Wege, lauter Narzissten, Egoisten und Einzelgänger zu schaffen.
Ungehorsam ist also notwendig. Es muss sich Protest regen gegen eine komplett falsche Richtung im Bildungssystem, denn sie bringt nach und nach eine Generation von Erwachsenen hervor, die sozial und emotional auf dem Stand von Kleinkindern sind. Um diesen Protest auf breiter Basis ins Rollen zu bringen, ist jedoch das Verständnis der Hintergründe, die ich beschreibe, wichtig. Nur wenn die Verantwortlichen in den Bildungseinrichtungen und die verantwortlichen Politiker verstehen, dass der Ansatzpunkt für einen wirkungsvollen Wandel im Bildungssystem in der kindlichen Psyche und nicht in pädagogischen Modellen liegt, wird es auch möglich sein, die Situation in Kindergärten und auch an den Schulen nachhaltig positiv zu verändern.
Der erste Schritt ist der, dass die Verantwortlichen sich eingestehen, dass die herkömmlichen Systeme im Bildungswesen seit geraumer Zeit versagen, genauso wie Lehrerbemühungen wirkungslos verpuffen. Diese Erkenntnis ist, so jedenfalls mein Eindruck aus vielen Begegnungen und Gesprächen, bei sehr vielen Lehrern auf der individuellen Ebene längst vorhanden. Sie stehen vor ihren Klassen, spüren, dass etwas falschläuft, und erfahren dadurch in ihrem Beruf zunehmend Frustration. Und das, obwohl der Beruf des Lehrers einem Menschen eigentlich auch im persönlichen Bereich sehr viel geben kann. Ich sage »eigentlich« – weil es überwiegend nicht mehr der Fall ist. Aufgrund der fehlenden emotionalen und sozialen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sind die Systeme Kindergarten und Schule mit immer mehr Kindern genauso überfordert wie die Kinder mit den Systemen. Das ist neu und das Ergebnis einer sich schnell verändernden und auch die Erwachsenen überfordernden Gesellschaft. Diese Tatsache müssen wir sehen und erkennen, nur dann können wir etwas ändern und unseren Kindern helfen.
Ankommen muss dieses Eingeständnis jedoch auf der politischen Ebene, auf der die richtungsweisenden Entscheidungen getroffen werden. Lehrerkollegien müssten ihre Probleme mit den Schülern geschlossen deutlich machen und artikulieren, Schulleitungen müssten reagieren und den Protest in der Bildungspolitik sicht- beziehungsweise hörbar machen. Und die für die Bildungspolitik zuständigen Politiker müssten endlich den Mut haben, sich überparteilich zu organisieren und jenseits aller Ideologie genau darauf zu schauen, was die Kinder brauchen, um sich gut zu entwickeln. Es darf den verantwortlichen Politikern nicht länger nur darum gehen, was Erwachsene (und in dem Fall auch Wähler) aus den unterschiedlichsten Gründen wollen.
Dieses Forcieren der Aufmerksamkeit in der Politik ist nur ein kleiner Aspekt, denn natürlich mahlen die Mühlen der Politik langsam. Es bringt daher nichts, weiter abzuwarten und zu hoffen, dass plötzlich eine schul-, stadt- und bundesländerübergreifende Initiative entsteht, die das Bildungssystem wirklich revolutioniert.
Wir, die Erwachsenen, sind gefordert, jeder Einzelne. Wir alle müssen hier und heute anfangen, im Kleinen Veränderungen herbeizuführen. Das beginnt bei den Eltern: Ich erlebe es in Beratungsgesprächen in meiner Praxis immer wieder, dass scheinbar hoffnungslos aus der Spur geratene Kinder in wenigen Beratungsgesprächen innerhalb von ein bis zwei Jahren mit den Eltern komplett nachreifen. Sie kommen nach der Korrektur der Beziehungsebene – die Eltern werden im ersten Schritt in die Lage versetzt, die symbiotische Beziehung aufzuheben – durch die fachliche Anleitung der Eltern auf den Entwicklungsstand ihres Alters und können wieder ein alle Beteiligten zufriedenstellendes Leben führen, sowohl in der Familie als auch in der Schule.
Diese Erfahrung macht mir immer wieder Mut, zeigt sie doch, dass Veränderung möglich ist. Das ist auch gar kein Wunder, denn man kann es nicht oft genug sagen: Diese Kinder sind nicht krank. Sie sind lediglich entwicklungsverzögert, und diese Verzögerung können sie aufholen. Je jünger die Kinder sind, desto einfacher gelingt das.
Wir brauchen die Schulrevolution!
Wir müssen umdenken. Kindergarten und Schule müssen sich zu den zentralen Orten entwickeln, an denen Entwicklung und Nachreifung möglich ist. Dafür sind verschiedene Voraussetzungen notwendig, die ich hier beschreiben möchte.
Zunächst einmal
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