SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
ebenfalls erschreckend. Einige glauben, der Zweite Weltkrieg habe im 19. Jahrhundert stattgefunden. […] Es ist deutlich zu sehen, wie Ausdrucksfähigkeit, Rechtschreibkompetenz, Textkenntnisse schlechter werden.« 16
Bemerkenswert ist im weiteren Verlauf auch die Antwort Wolfs auf die erstaunte Frage der Interviewerin, ob angehende Lehrer nicht automatisch der deutschen Sprache mächtig sein sollten:
»Nicht unbedingt, die Mängel fallen mir da ebenfalls auf. Und da sich meist im Laufe der Studiums nur leichte Verbesserungen einstellen, entlassen wir Lehrer, die bei ihren Schülern nach meiner Schätzung maximal die Hälfte aller Fehler überhaupt noch erkennen können.«
Da schließt sich dann letztlich der Kreis. Angesichts der auch von mir hier beschriebenen Anforderungen, die zukünftig an Lehrer gestellt werden müssten, ist dieser Befund doppelt dramatisch. Heißt er doch nichts anderes als: Wenn wir alles so weiterlaufen lassen wie bisher, wird es irgendwann auch keine Lehrer mehr geben, die noch in der Lage sein werden, Schüler emotional nachreifen zu lassen, weil es diesen Lehrern selbst an der emotionalen Reife fehlt.
Wir haben es hier mit einem Teufelskreis zu tun, den im Moment noch kaum jemand zu sehen vermag. Diese Studenten, die heute ihren Professoren Kopfzerbrechen bereiten, waren zwölf oder dreizehn Jahre in der Schule, haben vielleicht wirklich guten Unterricht genossen, und trotzdem sind viele Lerninhalte aufgrund fehlender emotionaler und sozialer Reife an ihnen vorübergegangen.
Wege aus dem Teufelskreis
All die in diesem Kapitel angeführten Beispiele zeigen, dass die pädagogischen Konzepte im Kindergarten und in der Grundschule neu überdacht werden müssen, wenn wir den Kindern, die dort heute heranwachsen, helfen wollen, die Anforderungen zu bewältigen, die das Leben an sie stellen wird, sobald sie erwachsen sind.
Wir müssen uns, wenn wir diese Konzepte überdenken, grundsätzlich immer wieder klarmachen, dass die emotionale und soziale Entwicklung von Kindern kein Spielball von akademischen Theorien und Modellen sein darf. Sie darf auch nicht dazu gemacht werden, um ökonomischen oder ideologischen Forderungen Rechnung zu tragen. Genau hier liegt jedoch oft der Hund begraben. Scheinbar fortschrittliche pädagogische Konzepte reflektieren bei genauerem Hinsehen nur ökonomische Zwänge oder sollen ideologiegetriebene Grabenkämpfe für eine bestimmte Seite entscheiden. Dabei gerät vollkommen aus dem Blick, worum es eigentlich immer gehen sollte: Kinder als Kinder zu sehen, ihren Entwicklungsverlauf ernst zu nehmen und das Verhalten sowohl im Elternhaus als auch in öffentlichen Einrichtungen einzig und allein danach auszurichten, was Kinder brauchen, und nicht danach, was Erwachsene sich im akademischen Elfenbeinturm oder im politischen Debattierclub ausdenken.
Die Zeiten, und somit auch die Kinder, haben sich verändert, darauf müssen moderne pädagogische Konzepte eine Antwort bereithalten. Die Gesellschaft muss dringend erkennen, dass immer mehr Kindern bereits in Kindergarten und Grundschule die emotionale Entwicklung fehlt und die modernen Konzepte es nicht ermöglichen, dass die Kinder ihrem Alter entsprechend reifen. Je älter die Kinder werden, desto kleiner wird die Chance, dass ihre Psyche doch noch nachreift und ihre emotionale und soziale Kompetenz wächst. Das zeigt die enorme Bedeutung, die vor allem auch der Grundschule zukommt.
Diese ist in meinen Augen nicht vordergründig für die Lernvermittlung verantwortlich, sondern für die Gesamtentwicklung der Kinder. Es geht darum, zu lernen, wie man sich im Unterricht verhält, wie man lernt, wie man sozial miteinander umgeht. Das ist die Aufgabe, die heute zur reinen Wissensvermittlung dazukommt. Grundschullehrer haben immer schon das Kind in der emotionalen und sozialen Entwicklung gefördert, weil sie Kinder als Kinder gesehen und sie personenbezogen unterrichtet haben. Jetzt müsste diese Förderung noch verstärkt erfolgen.
Mut zum Ungehorsam: Warum Kindergärten und Schulen gut daran täten, nicht jeden Trend mitzumachen
Nun habe ich bereits einiges darüber gesagt, wie es um die Zusammenhänge zwischen der fehlenden emotionalen und sozialen Kompetenz von Kindern und dem Alltag in Kindergärten und Schulen bestellt ist. Allerdings nützen all diese Erkenntnisse wenig, wenn sich nichts an der Ausgangssituation ändert. Veränderungen ergeben sich jedoch häufig erst durch den Mut zum Ungehorsam.
In der Tat
Weitere Kostenlose Bücher