irgendwo ein Bild sein sollte, verborgen in den Pixeln, aber nichts ändert sich. Noch nicht mal die Zeit: 10 : 05 : 12.
Vier Monate und fünf Tage, seit sie uns verlassen hat.
Ich öffne eine neue Mail und beginne zu schreiben.
Von:
[email protected] An:
[email protected] Meine liebste Schwester,
Nein. Das ist der vollkommen falsche Start. So rührselig habe ich nie mit ihr gesprochen, und obwohl sie das hier niemals lesen wird, würde sie mich wahrscheinlich auslachen oder endgültig für verrückt erklären, wenn ich jetzt damit anfinge.
Ich lösche die erste Zeile und versuche es noch mal anders.
Megster!
Schon besser. Das ist einer der ungefähr tausend Spitznamen, die ich für sie hatte.
Wo warst du, Schwesterherz? Du hast alles verpasst. Deine eigene Beerdigung. Und die Musik erst, grauenhaft. Wahrscheinlich drehst du dich gerade im Grab rum, was?
Diese Redewendung habe ich noch nie zuvor benutzt.
Ich hoffe, dir geht’s gut. In deinem Grab. Mann, klingt das komisch. Tut mir echt leid, dass ich nicht dageblieben bin, um Erde reinzuschaufeln oder was man da auch immer macht. Ich konnte einfach nicht.
Erde. Allein das Wort lässt mich schon wieder ganz flach atmen.
Schätze mal, wenn du … noch hier bist, auf irgendeine Art, dann hast du mich auch in der Kirche gesehen. Das tut mir auch leid. Ich weiß ja, du kannst Heulsusen nicht leiden.
Ich habe versucht, sie davon zu überzeugen, dich nicht zu begraben. Ich fand, wir sollten deine Asche an einem Ort verstreuen, an dem du gerne warst, zum Beispiel auf Korfu am Strand, aber die Polizei meinte, du müsstest beerdigt werden, für den Fall, dass …
Ich halte inne. Interessiert sich eine Tote überhaupt für das Schicksal ihres Körpers oder lässt sie ihn einfach hinter sich, wie ein Primark-Top aus der letzten Kollektion?
Na ja, lassen wir das. Jedenfalls war das ein ganz schöner Aufmarsch vor der Kirche, Meggie. So viele Leute haben dich lieb gehabt, auch wenn ich dich noch viel lieber hatte als die alle zusammen. Das wusstest du doch, oder? Auch wenn wir es uns nicht oft genug gesagt haben.
Tja, dann sage ich es eben jetzt. Ich hab dich lieb,
deine kleine Schwester xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Ich lese mir die E-Mail noch mal durch. Vielleicht sollte ich ihr alles erzählen, was passiert ist, seit sie nicht mehr da ist: von dem Schweigen zu Hause, dem ihr gewidmeten Song, dem Besser-als-erwartet-unter-den-Umständen-Ergebnis meines Abschlusstests, meinem Rückfall beim Nägelkauen.
Aber wenn sie aus dem Himmel auf uns runtersieht, weiß sie das sowieso alles. Vielmehr muss sie erfahren, was wirklich wichtig ist, und jetzt, nachdem ich es ihr gesagt habe, fühle ich mich schon viel besser. Okay, wenn diese leere Mail tatsächlich von so einem bescheuerten, kranken Fan war, der ihren Account gehackt hat, dann habe ich ihm wohl mehr Drama geliefert, als er sich je erträumt hätte. Aber wen interessiert’s? Wenn es auch nur die geringste Chance gibt, dass Meggie mich hört – selbst wenn die Chance winziger ist als die, Außerirdische auf dem Mars oder ein Heilmittel für Krebs zu finden –, dann ist es das Risiko wert, dass irgend so ein armseliger Loser, der auf tote Mädchen steht, erfährt, was in mir vorgeht.
Ich klicke auf Senden .
3
Unten streiten sich mal wieder meine Eltern. Es ist immer dasselbe. Ich dachte, nach der Beerdigung wird vielleicht alles besser, aber eine Woche danach ist immer noch kein Ende in Sicht. Früher habe ich mich immer so überlegen gefühlt, wenn meine Freunde darüber gejammert haben, wie ihre Eltern sich zankten. Jetzt nicht mehr.
»Ist dir das alles denn egal?«
»Bea, fang nicht so an, bitte.«
»Nein. Ich will wissen, ob es dir überhaupt wichtig ist.«
Ich drehe die Musik lauter, aber ihre Stimmen sind trotzdem nicht zu überhören.
»Okay, nein. Nein, es ist mir nicht wichtig, kein bisschen.«
»Glen, das kann jetzt nicht dein Ernst sein. Megan muss doch den richtigen Baum bekommen. Einen, der schön und grazil ist, aber trotzdem stark. Vielleicht wäre ein Obstbaum am besten. Aber wäre es dann nicht seltsam, die Früchte zu essen? Oh Gott, siehst du, du musst mir helfen …«
»Megan konnte eine Eiche nicht von einer Kiefer unterscheiden. Sie war neunzehn, Bea. Gärtnern war ihr absolut schnurz.«
»Es geht doch nicht ums Gärtnern. Sondern um ein Symbol für ihr Leben.«
»Tu, was du für richtig hältst. Gieß deinen Baum mit Champagner und düng ihn mit