Soul Kitchen
sein Ziel, eine kleine Bucht mit einer Grotte. Er ruderte beinahe noch eine Stunde, dann legte er an. Der Sand war fein und bot gerade genug Platz für ihn und das große geblümte Handtuch von Tante Eleni. Zinos sah sich um, aber der Zugang zur Grotte war nicht mehr auszumachen. Stattdessen erblickte er etwas, das von Weitem aussah wie ein schillernder Goldklumpen. Doch hinter dem Flimmern der Hitze fand Zinos bloß eine aus dem Sand ragende Flasche Whiskey neben der Felswand. Sie steckte mit dem Hals im Sand. Zinos buddelte; sie war noch fast voll. Er nahm ein paar warme Schlucke, ihm wurde schwindelig – und auch ein bisschen übel.
Er rannte ins Wasser, sprang kopfüber hinein, tauchte, solange es ging, und schwamm so weit hinaus, dass er den letzten Felsen vor dem Hafen sehen konnte, zumindest glaubte er das. Er ließ sich auf dem Rücken über das Wasser treiben, das ihn immer weiter raus trug, vielleicht würde er nie wieder an Land schwimmen, vielleicht wäre das sogar besser. Dann fiel ihm ein, dass er heute Abend Tante Eleni ausführen wollte. Er begann, zurück zum Ufer zu schwimmen, da berührte ihn unter Wasser etwas, das sich bewegte. Sein Herz schlug so schnell, dass er schon allein deswegen um sein Leben fürchtete. Was auch immer es war, es griff ihn nicht an. Er wagte nicht, sich zu bewegen, dann stieß es ihn wieder an, es war nicht glitschig, fühlte sich nicht an wie ein Fisch, eher hart und kantig, es zwickte ihn in den Fuß, er erstarrte. Plötzlich tauchte neben ihm eine große Schildkröte auf, sah ihn eine Weile an und tauchte wieder ab. Zinos schwamm eine Weile neben ihr her, bis sie sich ins weite Meer aufmachte.
Er hatte ganz vergessen, was das Meer ihm bedeutete. Als er mit geschlossenen Augen dalag und fühlte, wie das Wasser auf seiner Haut trocknete, nahmen die Erinnerungen eine andere Form an. Es schien ihm, als würde sein Leben in diesem Moment endlich weitergehen. Bis zum frühen Abend hielt er es in der Bucht aus, dann ruderte er zurück zum Hafen. Er wusste nicht, wie spät es war. Die Lichter der Taverne blinkten bunt. Draußen an der Post gab es mittlerweile ein Telefon, während es früher bloß eine enge Kabine aus Holz gegeben hatte, in der man fast erstickte.
Er nahm den Hörer ab und warf Münzen ein. Es kam nicht mal ein Freizeichen, und das Geld war weg. Im Kafenion bot Hermes ihm an, er könne telefonieren. Ollis Anrufbeantworter ging sofort an. Vocalhouse dröhnte Zinos ins Ohr.
»Olli, du Spinner, ich bin jetzt in Griechenland, ich brauch Geld, ich kann meiner Tante nicht auf der Tasche liegen. Ich hoffe, du hast meine Wohnung schon an jemanden vermietet, jemand Anständiges, Alter! Ich will keinen Ärger und keine Flecken, die nicht von mir sind. Grüß Bo. Einfach nur so. Und sag ihr nicht, wo ich bin! Interessiert sie sowieso nicht. Ruf an im Kafenion. Das hier ist die Nummer ...«
Er rannte die Treppen hoch ins Dorf. Tante Eleni hatte ihr schönes Kleid an, stand am Herd und rührte in einem Topf.
»Tante, Feierabend!«
»Ich dachte schon, Poseidon hat dich geholt, Zinos .
»Mach dir keine Sorgen um mich.«
»Wer sagt, dass ich mir Sorgen gemacht habe?«
Sie zwinkerte. Vor Frauen, die zwinkern, wollte Zinos sich in Acht nehmen.
In der Taverne bestellte Tante Eleni gegrillte Sardinen, eingelegte Paprika, Linsenmus, Oktopussalat, Garnelen in Tomate und geschmortes Lamm.
Sie tranken dazu den selbst gemachten Rotwein des Wirtes und danach Ouzo auf Eis. Nach ihrem dritten Glas sagte Tante Eleni:
»Wie hast du dir das vorgestellt, Junge?«
»Was denn, Tante?«
»Na, machst du gerade Urlaub – oder was soll das werden?«
»Ich weiß nicht, ich will eine Weile bleiben und dann mal sehen.«
»Was ist eine Weile?«
»Freust du dich denn gar nicht, Tante?«
»Darum geht es nicht. Du bist ein Junge, der keine Arbeit hat, und ich frage mich, warum er mich so plötzlich besucht, nachdem er Jahre nicht angerufen hat. Da steckt doch was dahinter, Zinos.«
»Ich hatte einen Job, alles war gut, ich wollte kochen leinen, aber dann ...«
»Ihr Name!«
»Was?«
»Es steckt doch ein Mädchen dahinter, ist es nicht so, Zinos?«
»Eine Frau.«
»Die erste Liebe?«
»Mhm.«
»Das geht vorbei, mein Zinos«
»Ich habe sie geliebt, sie mich nicht.«
»Kanntest du sie wirklich?«
»Was soll das heißen – wirklich kennen?«
»Hat sie dir jemals einen Brief geschrieben?«
»Nein, warum sollte sie?«
»Du kennst eine Frau erst, wenn sie dir einen Brief
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