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Soul Kitchen

Soul Kitchen

Titel: Soul Kitchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasmin Ramadan
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gleichen Takt, und jeder kennt seinen Einsatz. Sie schimpfen über die konservativen Politiker und die Brandstifter, berichten von den Fährunglücken der letzten Jahre, wer wen geheiratet, welche von den jungen Leuten man ans Festland verloren hat, sie nennen die Namen aller Kinder, die geboren wurden.
    Schließlich betrat Hermes, der Wirt, mit einer riesigen Wassermelone auf der Schulter sein Lokal. Auch er erkannte Zinos sofort. Doch er war der Erste, der sich nach Zinos’ Befinden und dem Verbleib der restlichen Familie erkundigte. Die anderen Männer raunten beschämt, dann folgte ein Schwall lebhafter Erkundigungen, und abrupt schwiegen alle und blickten Zinos an. Er berichtete, dass Illias im Ausland war, weit weg auf einer Bohrinsel arbeitete, und seine Eltern auf dem Festland lebten. Darüber war man nicht so erfreut, verstand aber, dass sie im Dorf von Zinos’ Vater lebten. Nachdem Zinos verkündet hatte, er sei Geschäftsführer eines Restaurants, wurde die Wassermelone aufgeschnitten; jeder bekam ein großes Stück. Während des Essens schwiegen alle.
    Zinos erkundigte sich nach Tante Eleni. Es ginge ihr gut, und noch immer mache niemand süßere Früchte. Hermes erzählte, dass Andreas wegen einer rheumatischen Geschichte kaum noch etwas sehen könne, aber noch immer die Post ausfahre. Er habe eine Brille, aber die setze er selten auf, weil er fürchte, damit seine letzten Chancen bei Tante Eleni zu verspielen. Deshalb würde man untereinander die Post ständig neu verteilen.
    Als man Zinos zu einer Partie Tavli aufforderte, verabschiedete er sich. Illias hatte ihn immer geschlagen, deswegen machte ihn dieses Spiel nervös. Er stieg die Treppen hinauf zu Tante Eleni. Die Wirkung des Koffeins ließ nach, auch der Zucker war verdaut. Zinos setzte sich auf Stufe hunderteins und hätte nun selbst in der Mittagshitze einschlafen können. Er trank die Flasche Mineralwasser aus, die Hermes ihm zugesteckt hatte, und es stellte sich heraus, dass es leichter war, den Rollkoffer zu tragen, als ihn Stufe um Stufe hochzuziehen.
    Ohne weitere Pause erreichte er die Abzweigung zu Tante Elenis Gasse. Natürlich hatte ihr bereits jemand von seiner Ankunft berichtet. Sie lief ihm entgegen, weinte und strahlte übers ganze Gesicht. Sie drückte Zinos und hielt ihn so sehr an den Armen fest, dass er zwei blaue Flecken davon bekommen sollte.
    Nachdem er sich an Mezzes satt gegessen hatte, legte er sich in seinem Zimmer nackt auf das gemachte Bett. Er schlief lange und fest. Das Zimmer hatte kein Fenster und lag ganz hinten im Haus. Deshalb liebte Zinos dieses Zimmer; er und Illias hatten sich immer darum gestritten. Man wusste nie, ob es Tag war oder Nacht, es war eine Welt für sich. Man hörte kaum, was im Rest des Hauses passierte, und vor allem war das Zimmer kühl. Manchmal, wenn es über vierzig Grad heiß gewesen war, hatten alle außer Tante Eleni in diesem Zimmer geschlafen. Sie sagte dann immer, Deutschland habe die Familie zu Schwächlingen gemacht. Wenn es sehr heiß gewesen war, hatte sich Tante Eleni zum Beweis ihrer Überlegenheit manchmal sogar zum Schlafen aufs Dach gelegt. Zinos war immer davon aufgewacht, dass sie die Leiter unter der Dachluke wieder hinuntergestiegen war, kaum dass sie ihre Schwester hatte schnarchen hören.
    Als Zinos am nächsten Tag auf M. erwachte, wusste er einen langen Moment nicht, wer er war und wo er war.
    Früher hatte gleich neben dem Bett eine kleine Lampe gestanden. Zinos tastete den Boden ab und fasste in etwas Klebriges. Seine Hand schmeckte süß nach Tante Elenis kandierten Sauerkirschen. Nackt wankte er durchs dunkle Zimmer und tastete die Wände nach dem Lichtschalter ab. Er öffnete die Tür. Im Flur schien die Sonne durch ein kleines Fenster. Er zog ein T-Shirt und ein paar alte, abgeschnittene Jeans an. Tante Eleni saß am großen Tisch in der Küche und entkernte Aprikosen. Einen riesigen Berg hatte sie schon geschafft, einen noch größeren hatte sie noch vor sich.
    »Willst du?«, fragte sie, ohne aufzublicken.
    »Aprikosen?«, fragte Zinos.
    »Ich habe auch einen Milchkuchen fertig oder Baklawa mit Walnüssen, davon wirst du groß und stark.«
    »Bin ich doch schon, Tante. Sei mir nicht böse, ich hätte lieber ein Brötchen mit Schinken oder so was.«
    »Salz zum Frühstück?«, fragte sie empört.
    »Sei nicht böse, ich liebe deine Sirupfrüchte, deine Kuchen. Ich habe so oft davon geträumt, dass ich schon vom Träumen zugenommen habe, Tante.«
    Sie

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