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Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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trägt, die für ihre Geisteskrankheit oder gar für ihren Selbstmord bekannt ist. Da kann man ja gleich ein James-Dean-Krankenhaus für Autounfallopfer eröffnen. Meinen Vater schienen die Namen nicht abzuschrecken:
    «Bei Van Gogh denke ich an die Irisblüten. Die sind schön und spenden jede Menge Hoffnung. Außerdem geht’s bei Van Gogh auch um sozialen Aufstieg … Weißt du, wie teuer seine Bilder verkauft werden?»
    «Äh … er starb im Elend.»
    «Na gut, das ist schon ungeheuerlich … aber das macht auch Hoffnung für die Zukunft.»
    Ich spürte, dass man ihm nicht widersprechen durfte. Letzten Endes hatte er wahrscheinlich recht. Van Gogh hatte ein positives Image. Ein Image, das der Nachwelt Anlass gab, optimistisch zu sein. Mein Vater fand zügig einen Parkplatz, und das versetzte ihn wie immer in helle Freude. Ich denke, das Leicht-einen-Parkplatz-Finden rangierte im Spitzentrio seines persönlichen Glückspantheons. Irgendwie steht das auch symbolisch: Mein Vater wollte nie etwas anderes als ein Leben, das in geordneten Bahnen verläuft. Ich lasse kein gutes Haar an dem Enthusiasmus, den er angesichts eines gefundenen Parkplatzes empfinden mochte, aber im Grunde freut sich jeder, wenn er eben kann.
     
    Ich fürchtete mich davor, mit der Wahrheit konfrontiert zu werden. Mein letzter Besuch bei meiner Mutter war schmerzhaft gewesen, ich hatte sie fast nicht wiedererkannt. Wir sahen uns selten, hatten kein besonders enges Verhältnis; aber auf eine etwas dumme Art blieb ich immer ihr Kind, das seine Mutter brauchte. Der Gedanke, sie könne den Verstand verlieren, hatte mir Angst und Schrecken eingejagt. Ich hatte mich gewunden und den Zeitpunkt dieser schweren Prüfung so lange wie möglich hinausgezögert. Dass meinUnvermögen, zu meiner Mutter zu gehen, letztlich der Beweis meiner Zuneigung zu ihr war, war niemandem aufgefallen. Ich stand vor ihrer Tür, meine Hand war kurz davor, zu einem vorsichtigen Klopfen anzusetzen. Aber ich war noch nicht bereit. Ja, meine Hand hing blöde in der Luft, wie ein vor Angst erstarrter Soldat. Mein Vater hatte sich feige verdrückt, nachdem er in seinen Bart gemurmelt hatte: «Na gut, ist vielleicht besser, wenn du allein reingehst.»
     
    Ich klopfte vorsichtig, mehrmals. Als keine Reaktion kam, ging ich hinein. Mein Mutter schlief in einer für sie ungewöhnlichen Stellung. Ich dachte mir, dass man ihr wohl Tabletten gegeben hatte, denn sie wirkte irgendwie erschlagen. Ihr Kopf lag gerade auf dem Kissen, sonst hatte sie immer auf der Seite geschlafen. Doch ich sollte mich getäuscht haben. Als ich mich zu ihr setzte, machte sie die Augen auf. Es war komisch, aber sie öffnete erst das eine und dann das andere Auge. Sie schlief – von wegen. Sie machte einen extrem ruhigen Eindruck (ein Sonntagmorgen im Februar). Sie wandte mir den Kopf zu und lächelte breit. Ich sagte: «Hallo, Mama.» Und sie sagte: «Hallo, mein Schatz.» Ich weiß nicht, was in mich fuhr, aber ich wurde von Gefühlen überwältigt. Und ich spürte, dass diese Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhten. Auf einmal holte die Zärtlichkeit uns ein. Als hätte sie am Rande des Abgrunds auf uns gewartet. Mir wurde sofort klar, dass meine Mutter alles andere als verrückt war. Sie hatte einfach Angst vorm Leben gehabt. Angst vor ihrem Leben. Wie ein kleines Mädchen, das sich im Dunkeln fürchtete.
    «Geht’s dir gut? Ich weiß schon, dass du ein Mädchen kennengelernt hast.»
    «Ja, sie heißt Louise.»
    «Es hört sich vielleicht komisch an, aber ich glaub, ich kann sie mir gut vorstellen.»
    «Ich hätte ein Foto mitbringen sollen. Und ich hätte eher kommen müssen, ich weiß.»
    «Ach was, das war schon in Ordnung so. Dein Vater hat sich bloß aufgeregt. Ich hab das ja verstanden, dass du nicht gleich gekommen bist.»
    «Wirklich?»
    «Ja, das hab ich verstanden. Und ich hab auch verstanden, dass ich keine Verrückte bin. Vor allem, als ich all die Verrückten hier gesehen hab. Da dachte ich mir: So verrückt bin ich doch nicht.»
    «Schön, dass du das sagst.»
    «Im Augenblick ruhe ich mich noch ein bisschen aus. Ich versuche, meinen Kopf leer zu bekommen. Und dann komm ich wieder nach Hause. Ich muss mich ja um deinen Vater kümmern. Er ist in einem richtig beunruhigenden Zustand.»
    «Stimmt, er benimmt sich sonderbar.»
    «Ich hab zu ihm gesagt, er soll mal einen draufmachen … es ein bisschen ausnutzen, dass ich nicht da bin … aber nein, keine Chance … Er hat gemeint, es sei ihm nicht

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