Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Souvenirs

Souvenirs

Titel: Souvenirs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
Vom Netzwerk:
beschlossen, es hatte keine Eile, sich zu offenbaren. Mehr als eine bedeutsame Geschichte pro Tag war verboten. So drosselten wir die Geschwindigkeit des stürmischen sich Kennenlernens, überzeugt, wir müssten uns das Stadium der Unschuld so lange wie möglich bewahren. Es war allerdings erlaubt, Geschmäcker kundzutun. Wir sprachen über Filme, Bücher und Musik, die wir mochten. Ich fand es wundervoll, auf diese Art einer Frau näherzukommen. Sie empfahl mir ihre Lieblingsromane, wobei ich mir darüber im Klaren war, dass ich gerade überhaupt keine Lust zum Lesen hatte. Zum Schreiben übrigens auch nicht. Ich wollte unsere Liebe genießen und sie mir nicht mit anderen Geschichten verderben.
     
    Jeden Tag rief mein Vater mich an. Er fragte mich ständig: «Wann besuchst du endlich deine Mutter?» Ich hatte keine Ahnung. Ich schob es hinaus, ohne eine Rechtfertigung dafür zu haben. Aber es war nun einmal so. Das hing sicherlich mit Louise zusammen. Man durfte in meinem Verhalten nicht den Ausdruck meines Egoismus sehen, vielmehr den Wunsch, die Blase aufrechtzuerhalten, in der ich lebte. Ich hatte das Gefühl, dass alle Entscheidungen von meinem Körper ausgingen. Und mein Körper zog es vor, sich im Schutze des fleischlichen Dunstes an den von Louise zu schmiegen. Ich hatte das gleiche Gefühl, wenn Louise von meiner Großmutter redete. Es kam mir so vor, als liege das alles weit zurück. Louise wollte allerlei über sie wissen, erkundigte sich nach Einzelheiten unseres Ausflugs nachÉtretat, und nur anlässlich solcher Gespräche fiel mir wieder ein, wie ich Louise kennengelernt hatte.
    «Das führt mir etwas Seltsames vor Augen, wenn du von meiner Großmutter sprichst.»
    «Was?»
    «Dass ich dich erst seit Kurzem kenne.»
    Ich hatte den Eindruck, sie sei schon immer da gewesen. Wer ein Ereignis herbeisehnt, haucht ihm in gewisser Weise Leben ein, noch bevor es eigentlich eintritt. Ich hatte mich so sehr nach dieser Frau gesehnt, dass sie in meiner Vorstellung über den Rand der Wirklichkeit geschwappt war. Doch sie drängte mich, ich möge mich auf die Wirklichkeit besinnen. Sagte, ich sollte meine Mutter besuchen. Und brachte dies mit einer solchen Eindringlichkeit vor, dass ich beschloss hinzugehen. Später sollte ich erfahren, dass Louises Mutter im Jahr zuvor unter ziemlich mysteriösen Umständen ums Leben gekommen war. Sie war kerngesund, doch eines Morgens war sie nicht mehr aufgewacht. Dieses sanfte Entschlafen war so gnadenlos. Man hatte es lieber, wenn der Tod sich ein wenig ankündigte, wenn er mit einer Krankheit oder einem Gebrechen vorher anklopfte. Doch da hatte er quasi im Vorübergehen ein Leben gestohlen. Ein ekelhafter Zug des Todes. Wochenlang hatte Louise geweint. Sie spazierte an den Klippen entlang, trat in der Leere auf der Stelle. Doch dann fing die Schule wieder an, und als sie in die Kinderaugen blickte, fand sie wieder Geschmack am Leben. Diese Geschichte, die ich hier nur kurz anschneide, sollte Louises Leben einschneidend verändern. Sie plante nicht länger als einen Tag im Voraus. Dadurchschwebte unsere Liebe in der permanenten Ungewissheit, was morgen sein würde. Unsere Beziehung blieb so mitunter jung und unberechenbar; aber mich machte das auch besorgt und unsicher.
     
    Eines Morgens klopfte mein Vater an unsere Zimmertür. Ich war gerade eingedämmert, befand mich in der schönsten Einschlafphase. Er stand in der Tür, schien furchtbar nervös. Er wollte hereinkommen, doch als er eine unter der Decke hervorlugende nackte Schulter erkannte, wich er zurück. Der flüchtige Blick auf eine Spur von Weiblichkeit bremste die hitzige Dynamik seiner ursprünglichen Absichten.
    «Was ist denn los?», fragte ich ihn, reichlich besorgt.
    «Ich bin total am Ende. Du hast sie wohl nicht mehr alle. Du gehst nicht ans Telefon. Du begreifst überhaupt nicht, wie schlimm die Situation ist.»
    Er hatte mit verwirrender Schnelligkeit gesprochen. Man merkte, er hatte diese Worte, die nun aus ihm hervorsprudelten wie bei einem Taucher, der an die Wasseroberfläche gelangt und erst mal nach Luft schnappt, seit Tagen zurückgehalten. Ich gönnte mir meinerseits einen Blick auf die Schulter, dann trat ich vor die Tür und zog sie hinter mir zu.
    «Ist ja gut, ich hab vor hinzugehen.»
    «Aber wann? Wann?»
    «Jetzt hör aber mal, reg dich ab.»
    «So darfst du nicht mit mir reden. Ich bin schließlich dein Vater.»
    «Ich weiß … aber reg dich ab.»
    «Nein, ich rege mich nicht ab. Du kannst

Weitere Kostenlose Bücher