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Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Sozialdemokratische Zukunftsbilder

Titel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Autoren: Eugen Richter
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Mann und Frau der Charakter eines Privatvertrages gewahrt bleiben, und dürften deshalb auch Tanzordner sich nicht in die Engagementverhältnisse, weder durch Verlosung noch sonst wie, einmischen.
    Es soll in der Tat eine erhebliche Anzahl von Damen der Ansicht sein, die soziale Gleichheit bedinge auch die Aufhebung der Unterschiede von Verheirateten und Unverheirateten. Diese Damen haben sich neuerlich der Partei der Jungen angeschlossen, obwohl sie selbst zumeist schon in etwas reiferem Lebensalter stehen. Immerhin ist nach der Ausdehnung des Wahlrechts auf weibliche Personen auch dadurch die Opposition für die nächsten Reichstagswahlen nicht unerheblich verstärkt worden.
    Der neue Reichskanzler hat auch die Vorbereitung allgemeiner Neuwahlen zum Reichstag eingeleitet. Die Fülle von Anforderungen an die Staatsleitung, welche ersten Einrichtungen des sozialdemokratischen Staates mit sich brachten, gestatteten nicht früher die Vornahme von Wahlen. Das aktive und passive Wahlrecht steht allen Personen ohne Unterschied des Geschlechts zu, welche das 20. Lebensjahr zurückgelegt haben. Nach den Beschlüssen des Erfurter Parteitages aus dem Oktober 1891 gilt fortan das Proportionalwahlsystem, d. h. es werden sehr große Wahlkreise gebildet mit mehreren Abgeordneten und jeder Partei wird eine ihrer Stimmenzahl entsprechende Zahl von Abgeordneten für den Reichstag zugeteilt.

20. Üble Erfahrungen
    Frau und Schwiegertochter sitzen bis tief in die Nacht hinein, um heimlich zu schneidern. Es gilt einem neuen Anzuge für Agnes.
    Als Kontrolleur müsste ich eigentlich beide zur strafrechtlichen Verfolgung anzeigen, wegen Überproduktion durch Überschreiten des Maximalarbeitstages. Indes gehören beide nicht zu den 50 Personen, welche mir als Kontrollsektion unterstellt sind.
    Die beiden Frauensleute sind diesmal noch redseliger als sonst bei solchen Schneiderarbeiten. Verstehe ich es recht, so haben sie in den Verkaufsmagazinen nicht gefunden, was sie suchten, und machen nun aus andern Kleidern etwas zurecht. Beide schelten um die Wette über die neuen Verkaufsmagazine. Schaufenster, Reklamen, Versendung von Preislisten, Alles hat aufgehört. Man weiß gar nicht mehr Bescheid, so klagen sie, was es an neuen Sachen zu kaufen gibt und wie die Preise sich stellen. Die vom Staat angestellten Verkäufer sind so kurz angebunden, wie die Beamten am Eisenbahnschalter. Die Konkurrenz der Läden untereinander hat natürlich aufgehört. Jeder ist für bestimmte Bedürfnisse auf ein bestimmtes Verkaufsmagazin angewiesen. So verlangt es die Organisation von Produktion und Konsumtion.
    Ob man was kauft, ist natürlich dem Verkäufer völlig gleichgültig. Mancher Verkäufer schaut schon mürrisch drein, wenn die Ladentür aufgeht und der Verkäufer dadurch vielleicht in einer interessanten Lektüre oder Unterhaltung unterbrochen wird. Je mehr man zur Auswahl vorgelegt verlangt, je mehr man Auskunft wünscht über Beschaffenheit und Dauerdeftigkeit des Stoffes, desto verdrossener zeigt sich der Verkäufer. Ehe er aus einem andern Raum des Magazins das Verlangte hervorholt, leugnet er lieber das Vorhandensein eines Vorrates von dem Gewünschten.
    Verlangt man fertige Kleider — das Kleidermachen außerhalb des Maximalarbeitstages ist auch für den eigenen Gebrauch untersagt — so ist man erst recht übel daran. Es geht beim Anprobieren zu, wie bei Rekruten in der Montierungskammer. Die ausgesuchte Nummer soll durchaus zu dem Körper passen. Ist etwas auf Bestellung gearbeitet und erweist sich beim Anprobieren hier zu eng, dort zu weit, so bedarf es großer Beredsamkeit, den Verkäufer hiervon zu überzeugen. Gelingt das nicht, so muss man entweder den Anzug nehmen, so wie er ausgefallen ist, oder gegen die betreffende Staatsbehörde Prozess führen.
    Prozess führen ist allerdings jetzt sehr billig. Wie schon der Erfurter Parteitag im Oktober 1891 dekretiert hat, ist die Rechtspflege und Rechtshilfe unentgeltliche Die Zahl der Richter und Rechtsanwälte hat in Folge dessen gegen früher verzehnfacht werden müssen. Aber dies reicht noch immer nicht, da die Klagen über Mängel und Fehler der in den Staatswerkstätten gelieferten Waren, über schlechte Beschaffenheit der Wohnungen und des Essens, über Ungehörigkeiten der Verkäufer und sonstiger Bediensteten so zahlreich sind, wie Sand am Meere.
    Auch in achtstündigen Sitzungen vermögen die Gerichte den Terminkalender nicht inne zu halten, obwohl die Rechtsanwälte nichts weniger,
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