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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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selbst bei den Mädchen eher stärker. Auch die angeblich für Frauen typische Neigung zur „Erfolgsvermeidung“ (Homer; siehe Beck-Gernsheim in Eckert 1979, S. 193f) war nicht geschlechtstypisch und nur schwach mit Leistungen korreliert. Als wichtige Faktoren stellten sich vielmehr heraus: das Zutrauen zu der eigenen Fähigkeit, eventuell schwierigere Mathematikaufgaben bewältigen zu können; die Einschätzung, daß mathematische Fähigkeiten im Erwachsenenle ben einem nutzen werden; und die wahrgenommene Einstellung der Eltern (Vater/Mutter bestärkt mich darin, in Mathe gut zu sein) – wobei die Verstärkung durch den Vater einen deutlicheren Effekt bei beiden Geschlechtern hatte. Vergleicht man nun außerdem die Schulen miteinander, so springt ins Auge: je stärker die Geschlechtsunterschiede in den erfragten Einstellungen, desto größer die Unterschiede in Mathematikleistungen zwischen den Geschlechtern an der Schule (vgl.
Sherman
1978, S. 61 und Tabelle, S. 147). Dies weist dahin, daß individuelle Einstellungen allein nicht ausschlaggebend sind. Beeindruckend in dem Kontext ist es, daß die Jungen in allen Altersstufen davon überzeugt sind, daß Männer in Mathematik besser sind, die Mädchen aber ebenso durchgängig diese Meinung nicht teilen. Dies schafft zweifellos eine Atmosphäre, die es für Mädchen auf die Dauer schwer machen kann, sich in diesem Bereich zu behaupten. Es mag verständlich machen, warum der weitaus deutlichste Unterschied zwischen den Geschlechtern darin besteht, daß Mädchen mit zunehmenden Alter seltener Mathematikkurse belegen, und daß selbst mathematisch hochbegabte Mädchen weniger Gebrauch machen von dieser Befähigung als Jungen
(Fox
et al. 1979, S. 304).
    Eine Bemerkung zu dem Verhältnis zwischen dem visuell-räumlichen Vorstellungsvermögen und mathematischen Leistungsfähigkeiten scheint angebracht. Eine mäßige Korrelation zwischen beiden ist belegt
(Sherman
1978, S. 46), jedoch ist die unmittelbare Brauchbarkeit räumlicher Vorstellungen für viele Bereiche der Mathematik und auch der Naturwissenschaften nicht erkennbar, und die Geometrie ist eher ein randständiges Gebiet der Mathematikausbildung. Vielleicht besteht die Bedeutung des räumlichen Vorstellens vor allem darin, daß es ein Ablösen des Denkens von der Sprache vermittelt. Das Zählen wird als ausgesprochen sprachgebundene Fähigkeit gelernt, und auch das Rechnen wird in enger Verbindung mit der sprachlichen Formulierung der Zahlen und des Vorgangs eingepaukt. Viele Menschen müssen ihr Leben lang die Worte, die die Zahlen bezeichnen, im Gedanken aussprechen, um im Kopf zu rechnen, lehnen sich auch am Sprachrhythmus u. ä. an. Für höhere Mathematik ist ein von der Sprache abstrahiertes Denken der Zahl an sich erforderlich. Der abstrakte Zahlbegriff ist allerdings auch nicht räumlich vorgestellt; aber die Übung im räumlichen Denken ohne dazwischengeschaltete sprachliche Lösungsschritte könnte die Abstraktionsfähigkeit fördern, die für die höhere Mathematik erforderlich ist. Dies ist aber ein kaum erforschter Bereich, denn es hat den Anschein, daß die experimentellen Psychologen nur sehr unzulängliche Vorstellungen darüber haben, welche Fähigkeiten bei der höheren Mathematik vonnöten sind.
     
2.3 „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ als meßbare Persönlichkeitsmerkmale
    Eine jahrzehntelange Tradition der Testpsychologie bewertete Frauen und Männer als in dem Maße seelisch gesund, wie sie sich selbst und ihre Neigungen und Gefühle entsprechend den Vorschriften der jeweiligen Geschlechtsrolle beschrieben. Auf diese z. T. recht primitiven und gesellschaftspolitisch allzu durchsichtigen Tests muß hier nicht eingegangen werden, da die amerikanische Praxis, sie bei Einstellungsentscheidungen heranzuziehen, sich hierzulande zum Glück nicht ausgebreitet hat. Von Interesse sind neuere Ansätze, die – anknüpfend an die Kritik der älteren Tests – Weiblichkeit und Männlichkeit als sich ergänzende Teile der im wünschenswerten Fall androgynen Persönlichkeit aufzeigen möchten. Eine wahre Flut von Androgynitätsforschungen ist die Folge gewesen.
    Die wesentlichen Aussagen, zu denen
Bem
(1975) und
Spence/Helmreich
(1978) auf verschiedenen Wegen etwa gleichzeitig gelangten, sind die folgenden:
„Weibliche“ und „männliche“ Eigenschaften sind nicht in dem Sinne polare Gegensätze, daß, wer „weiblicher“ ist, deshalb weniger „männlich“ wäre: wer weniger aggressiv ist,

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