Sozialisation: Weiblich - männlich?
ist nicht deshalb einfühlsamer oder nachgiebiger.
Wenngleich es auch stimmen kann, daß jede der Testfragen entweder von Frauen oder von Männern häufiger bejaht wird, so können männliche und weibliche Individuen z. T. eher „typisch männliche“, z. T. „typisch weibliche“ Antworten geben, wenn man die Tests so konstruiert, daß dies möglich ist.
Diejenigen Individuen, die im traditionellen Sinne „gesund“ weil der stereotypen Geschlechtsrolle gut angepaßt sind, sind in Wirklichkeit oft weniger realitätstüchtig, weniger ausgeglichen als Menschen, die Eigenschaften aus dem Repertoire beider Geschlechtsrollen verbinden (vgl. hierzu auch schon
Breen
1975).
Die Messungen von „Weiblichkeit“ und „Männlichkeit“ beruhen auf Selbsteinschätzungen der Individuen, die ihre persönlichen Eigenschaften auf einer Skala selbst einstufen. Weder das tatsächliche Verhalten noch die Fähigkeit, sich entsprechend dem Selbstbild zu verhalten, wird damit festgestellt. Zwei Menschen, die sich identisch verhalten, können sich selbst dabei unterschiedlich wahrnehmen; und jemand, der sich selbst als nicht sehr entscheidungsfreudig, risikobereit oder einfühlsam einschätzt, mag durchaus die Fähigkeit dazu besitzen, unter geeigneten Umständen es doch zu sein. Überall dort, wo geschlechtsspezifische Normen für angemessenes Verhalten existieren, muß damit gerechnet werden, daß Frauen und Männer die erwartete Rolle spielen, auch wenn ihnen anders zumute ist. Die Selbsteinschätzungsverfahren nehmen diese innere Erfahrung ernst und eröffnen die Möglichkeit, zu erkennen, daß weibliche und männliche Individuen sich selbst oft nicht so einseitig sehen, wie es die Normen erwarten.
Tatsächlich stellte etwa
Guttentag
(1976) fest, daß Mädchen und Jungen in der Vorschule, in der 5. und in der 9. Klasse die erwarteten stereotypen Vorstellungen darüber äußern, wie jeweils Mädchen und Jungen, Frauen und Männer „sind“. Ihr eigenes Selbstbild entsprach diesen Stereotypen aber kaum.
Spence/Helmreich
(1978) fanden auch nur eine mäßige Übereinstimmung zwischen den Aussagen der Versuchspersonen über sozial wünschenswerte Eigenschaften für das jeweilige Geschlecht und deren Selbstbeschreibungen. Dies spricht für die relative Ehrlichkeit der Antworten: Die Befragten haben sich selbst nicht hochgelobt. Dennoch ist davon auszugehen, daß über die Jahre die Normen das Selbstbild beeinflußt haben. Die Meßinstrumente von Bem und Spence/Helmreich verstehen sich explizit als Maß für die Anpassung a ii stereotype Geschlechtsrollen. Ihr Anspruch ist es, Weiblichkeit und Männlichkeit unabhängig von dem biologischen bzw. zugeschriebenen Geschlecht der Befragten zu messen: als Eigenschaften, die jeder in verschiedenem Maße haben kann, und von denen jeder zugleich weiß, daß sie für Frauen/Männer normativ erwünscht sind.
Da sich herausstellen könnte, daß die geschlechtstypischen Selbstbilder empirisch die am zuverlässigsten nachweisbaren Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind, soll hier auf die umfangreiche Untersuchung von
Spence/Helmreich
(1978) etwas näher eingegangen werden. Sie haben nicht nur die üblichen Befragungen von College-Studenten, sondern auch eine Erhebung mit ca. 1.700 Schülern und Schülerinnen im Alter von 16-17 Jahren mit breitgestreuter Schichtzugehörigkeit durchgeführt.
Der Weg der Testkonstruktion ist wichtig. In Vorstudien wurde ermittelt, daß sowohl weibliche wie auch männliche Befragte der Meinung waren, daß Frauen und Männer sich hinsichtlich bestimmter Eigenschaften unterscheiden. Unterschiedliche Durchschnittswerte für Frauen und Männer ergaben sich sowohl dann, wenn nach dem Bild der „typischen Frau“ (bzw. Mann) gefragt wurde, wie auch dann, wenn Frauen und Männer sich selbst einschätzten. Anders als Spence/Helmreich (wie auch Bem) theoretisch erwartet hatten, ergaben sich dabei zwei verschiedene Arten von Geschlechtstypik. Wurden die Befragten gebeten, die „ideale Frau“ und den „idealen Mann“ zu beschreiben, so wurde die eine Gruppe von Eigenschaften beiden zugeschrieben, aber je nach Geschlecht in unterschiedlich starker Ausprägung. So sollten z. B. sowohl der ideale Mann wie auch die ideale Frau hilfsbereiter sein als der Durchschnitt, jedoch wird Hilfsbereitschaft besonders stark ausgeprägt bei der idealen Frau erwartet. Selbständigkeit, Einfühlungsvermögen, Durchhaltevermögen, Wärme sind demnach alle Merkmale, die weder der Frau
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