Sozialisation: Weiblich - männlich?
Zeichnungen diese Figur von einer anderen Seite her zeigt. Die Testergebnisse von Erwachsenen bei diesem Test zeigen einen Unterschied zugunsten von Männern, jedoch ist das Ausmaß des Unterschiedes sehr gering: wie bei den sprachlichen Besserleistungen der Frauen erklärt das Geschlecht weniger als 1 % der Varianz. Für sich betrachtet wäre auch dieser Unterschied belanglos. Die Diskussion speist sich jedoch aus anderen Tests und Aufgaben, deren Zuordnung zum „visuell-räumlichen Vorstellungsvermögen“ manchmal umstritten ist.
Am meisten Aufsehen haben die Untersuchungen von sogenannter „Feldabhängigkeit“ erregt, die von
Witkin
u.a. (1962) als Prüfung der Fähigkeit, überhaupt analytisch zu denken und zu differenzieren, vorgestellt wurden: diese Fähigkeit sei bei männlichen Individuen stärker ausgeprägt. Nach einer 1967 veröffentlichten Kritik von Sherman wurde allgemein akzeptiert, daß das, was die berichteten Tests messen, eine spezifisch räumliche Fähigkeit ist. Nicht einmal in räumlicher Hinsicht wird die Abhängigkeit vom Feld gemessen, sondern bei den meisten Tests nur, inwieweit man einen Stab oder eine Platte trotz fehlender oder irreführender Wahrnehmung der Umgebung senkrecht oder waagerecht ausrichtet
(Sherman
1978, S. 48). Der überzeugende und klare Konsens der Literatur, daß hinsichtlich dieser „Feldabhängigkeit“ Geschlechtsunterschiede bestehen, wurde von Naditch überprüft; sie stellte fest, daß Witkin sich in sehr vielen Fällen auf unveröffentlichte Studien beruft, deren Methodologie damit schwer prüfbar ist. Bei einer Sichtung der neueren Ergebnissen stellte sie bei 37 verschiedenen Erhebungen fest, daß nur 11 von ihnen einen Vorsprung der männlichen Versuchspersonen berichteten,. 23 hatten keinen Unterschied gefunden (nach
Burstein
et al. 1980, S. 295).
Das räumliche Vorstellungsvermögen ist in einer Vielzahl von anderen Aufgaben experimentell untersucht worden. Unterschiede zugunsten männlicher Versuchspersonen sind dabei zu häufig, um beiseitegeschoben zu werden. Das Problem ist aber, wie auch
Keller
(1979, S. 18) formuliert, „daß die Ergebnisse in erster Linie mit der gewählten Operationalisierung von 'räumlicher Vorstellungskraft' variieren“. Beispielsweise werden Versuchspersonen aufgefordert, eine vorgegebene komplexe Figur entweder auf Papier nachzuzeichnen, oder aber in einer Sandkiste mit den Füßen auszutreten. Bei der zweiten Aufgabe, die den Nachvollzug der Figur mit dem gesamten Körper verlangt, waren beispielsweise neunjährige Jungen den gleichaltrigen Mädchen überlegen; jedoch bei der Zeichnung auf Papier traten keine Unterschiede nach Geschlecht auf
(Unger
1979, S. 94-95). Lebenssituationen, in denen man eine Figur mit den Füßen statt mit dem Stift nachzeichnen können muß, dürften selten sein.
Das große Gewicht, das die Studien über räumliches Vorstellungsvermögen im Bereich der Geschlechtsunterschiede erhalten haben, ist vor allem auf die These zurückzuführen, daß es sich um Fähigkeiten handelt, die durch Übung nicht verbessert werden. Dies verlieh der Ansicht, daß das Geschlecht unmittelbar, nicht erst infolge von Übung oder Erziehung, die Unterschiede verursache, einige Plausibilität. Inzwischen liegt aber eine Reihe von Ergebnissen vor, die beweisen, daß Übung nicht nur der spezifischen Testaufgabe, sondern auch ganz allgemein, etwa durch Teilnahme am Unterricht im technischen Zeichnen, die Leistungen verbessern kann
(Sherman
1978, S. 49). Damit wären aber differenziertere Forschungsentwürfe angebracht, die berücksichtigen, wodurch Menschen zu besseren räumlichen Leistungen gelangen: es müßte geprüft werden, ob Personen verschiedenen Geschlechts unterschiedlich von solchen Lerngelegenheiten profitieren, bzw. ob bei gleicher Gelegenheit zum Lernen ein Unterschied nach Geschlecht noch auftritt. Die von Sherman berichteten Daten, die auch die mathematischen Fähigkeiten betreffen, weisen dahin, daß kein Unterschied nach Geschlecht bestehen muß.
Auch die
mathematischen Fähigkeiten
bestehen aus mehreren Teilfähigkeiten, die aber eindeutiger definiert sind. Man unterscheidet (bei Kindern) Zählen, Rechnen und andere mathematische Fähigkeiten. In allen Bereichen sind bis zum Alter von 12 Jahren keine ausgeprägten Unterschiede nach Geschlechtern festgestellt worden. Sofern einzelne Untersuchungen Unterschiede ergaben, waren Mädchen im Rechnen besser; dies ist aber keineswegs durchgängig. Für eine
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