Sozialisation: Weiblich - männlich?
Fähigkeiten
Zur Einschätzung des Forschungsstandes in diesem Bereich liegen inzwischen mehrere fundierte, methodenkritische Werke vor, so z.B. das Sammelwerk von
Wittig/Petersen
(1979). Die integrierende Monographie von Julia
Sherman
(1978) umfaßt eine besonders sorgfältige und gründliche Prüfung der Daten über Leistungsunterschiede nach Geschlecht und ihre möglichen Grundlagen. Sherman reflektiert die gesellschaftliche Bedingtheit von Verhalten bis in die Experimentanordnung hinein und spürt die möglichen Auswirkungen von Vorurteilen aus der Alltagspsychologie auf, weist jedoch andererseits die Frage nach biologischen Ursachen nicht von der Hand . Ihre annotierte Bibliographie (und ihre Datenauswertung) liefert durchweg die statistische Berechnung für Ausmaß und Signifikanz von Geschlechtsunterschieden mit bzw. vermerkt ggf. das Fehlen der erforderlichen Daten. Wenngleich heute noch keine definitiven Aussagen über Unterschiede in kognitiven Funktionen möglich sind, so verfügen wir über einen nüchternen Überblick, was als bewiesen und was als Spekulation gelten kann.
Unterschiede in den durchschnittlichen kognitiven Leistungen der Geschlechter bestehen hinsichtlich der allgemeinen Intelligenz nicht. Sie werden festgestellt im Bereich der sprachlichen Fähigkeiten, der mathematischen Fähigkeiten, und des visuell-räumlichen Vorstellungsvermögens. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Vermutungen, wie solche Unterschiede zustandekommen könnten, und dementsprechend Untersuchungen von mutmaßlich hiermit zusammenhängenden speziellen Fähigkeiten. So wird versucht zu ermitteln, ob es Unterschiede zwischen den Geschlechtern hinsichtlich Art und Ausmaß der Spezialisierung der Gehirnhälften gibt. Leider wird sowohl bei den Erhebungen wie auch bei der Interpretation oft sehr ungenau verfahren; Sherman beklagt, daß die methodische Sorgfalt, die bei Untersuchungen mit Ratten eine Selbstverständlichkeit sei, bei der Untersuchung von menschlichen Geschlechtsunterschieden zu vermissen ist
(Sherman
1978, S. 35).
Die
sprachlichen Fähigkeiten
von weiblichen Individuen sind in allen Altersstufen denen männlicher Individuen mindestens gleich. Eine Anzahl von Untersuchungen stellt bessere Leistungen der Mädchen fest, jedoch ist der Unterschied derart gering, daß er belanglos ist: weniger als 1 % der Variation wird durch das Geschlecht erklärt
(Sherman
1978, S. 43-44). Mehr Bedeutung wäre dem vielleicht zuzumessen, wenn bestätigt werden könnte, daß Mädchen einen zeitlichen Vorsprung beim Spracherwerb in den ersten Lebensjahren haben. Die Belege für diese These stammen aus älteren Untersuchungen, und die These selbst ist umstritten. Sie entspricht der Erwartungshaltung vieler Eltern, was als Bestätigung der Praxis oder auch als Vorurteil gewertet werden kann.
Wintermantel
(1979, S. 142) weist darauf hin, daß der Befund, Mädchen würden ihr erstes Wort früher als Jungen sprechen, außerordentlich angreifbar ist angesichts des Interpretationsspielraums, den Eltern bei der Datierung des ersten „richtigen“ Wortes haben. Wenn Eltern von einem Mädchen eher Sprachleistungen erwarten, werden sie eher ein Wort „heraushören“: überzeugend wären erst Untersuchungen, bei denen etwa Tonbandaufnahmen von Personen, die das Geschlecht des Kindes nicht kennen, ausgewertet würden.
Das zentrale Hemmnis bei Forschung zu diesem Bereich ist nach Wintermantel die Tatsache, daß ältere Untersuchungen mit unzulänglichen sprachtheoretischen Mitteln durchgeführt wurden, während die Entwicklungspsycholinguistik als noch junges Forschungsgebiet erst dabei ist, ein Modell dafür zu finden, wie Kinder die Sprache lernen. Strukturanalytische Untersuchungen, die nicht nach der Wortmenge sondern nach den grammatischen Regeln fragen, nach denen die kindlichen Äußerungen gebildet werden, finden eher keine Unterschiede
(Wintermantel
1979, S. 144-45).
Das
visuell-räumliche Vorstellungsvermögen
bezeichnet ein theoretisches Konstrukt, das zur Erklärung und Verbindung einer ganzen Reihe einzelner Testergebnisse gebildet worden ist. Jeder Forschungsüberblick steht zunächst vor der Frage, welche Leistungen diesem Vermögen zuzurechnen sind und welche nicht. Ein anerkanntes Maß für diese Fähigkeit ist ein Test mit Blockzeichnungen (innerhalb des Wechsler Intelligenztests), welcher verlangt, daß man eine gezeichnete dreidimensionale Figur in seiner Vorstellung dreht um zu erkennen, welche der angegebenen
Weitere Kostenlose Bücher