Sozialisation: Weiblich - männlich?
noch dem Mann schlecht anstehen, doch werden sie vom einen Geschlecht stärker erwartet. Es gab jedoch andere Merkmale, die, ganz wie die traditionellen Fragebögen es wollten, zweipolig waren: der Idealmann sollte mehr davon besitzen als seine Geschlechtsgenossen, die Idealfrau aber weniger als die ihrigen, oder umgekehrt. Diese Eigenschaften sind für das eine Geschlecht Tugend, beim anderen Laster. Dazu gehören beispielsweise Aggressivität, Dominanz, Verletzlichkeit, Bedürfnis nach Geborgenheit und nach der Anerkennung Anderer. Es wurden also drei Skalen gebildet: je eine für Männlichkeit (M) und Weiblichkeit (F), sowie eine zweipolige „M–F“, deren Werte unterschiedliche Bedeutung haben je nach Geschlecht des/r Befragten. Außerdem wurden die befragten Schüler/innen in weiteren Fragebögen nach ihrem Selbstwertgefühl, ihren gesellschaftspolitischen Einstellungen zu Frauen, und nach dem Erziehungsstil von Mutter und Vater befragt.
Folgende Ergebnisse scheinen mir interessant:
„Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ schließen sich nicht nur nicht aus, sondern eine starke Ausprägung des einen stand oft in Beziehung zu einer stärkeren Ausprägung des anderen. Überdurchnittliche Werte für Eigenschaften in beiden Bereichen, M wie F, gaben ein Drittel der Schüler/innen an; sie werden von Spence/Helmreich als „androgyn“ bezeichnet. Ein weiteres Fünftel schätzt sich mit unterdurchschnittlichen Werten in beiden Bereichen ein (als „undifferenziert“ bezeichnet). Der Rest, knapp die Hälfte, war, sofern männlichen Geschlechts, auch durch einseitige „Männlichkeit“ geprägt; dies war in der Arbeiterschicht besonders auffällig. Bei den Mädchen war hingegen die „männliche“ Ausprägung auch nicht selten, sogar 18 % der Mädchen in der oberen Mittelschicht beschrieben sich so.
Höhere Werte bei der M-Skala korrelierten ebenso wie höhere Werte bei der F-Skala unabhängig vom Geschlecht mit günstigem Selbstwertgefühl. Auch mehr „Weiblichkeit“ trug zum Selbstwertgefühl des männlichen Jugendlichen, mehr „Männlichkeit“ zum Selbstwert der weiblichen Jugendlichen positiv bei. Die Korrelation von Selbstwertgefühl und Männlichkeit war jedoch wesentlich stärker.
Hohe Werte bei der M-F-Skala, die in Richtung auf die bei Männern sozial erwünschten, bei Frauen unerwünschten Eigenschaften skaliert wurde, korrelierten auch für
beide
Geschlechter mit höherem Selbstwertgefühl. Das heißt: auch Mädchen, die mit ihrer Selbstbeschreibung am „männlichen“ Ende dieser Skala lagen (aggressiv, dominant, regt sich in Krisen nicht auf, gar nicht häuslich, nicht leicht verletzt ...), hatten ein besseres Gefühl zu sich als die Mädchen, die den Rollenerwartungen besser entsprachen. Umgekehrt gesehen: der Besitz derjenigen Eigenschaften, die für Frauen positiv, für Männer aber negativ bewertet werden (weint leicht, häuslich, verletzlich ...) standen in Zusammenhang mit niedrigerem Selbstwertgefühl bei beiden Geschlechtern.
Die durchschnittlichen Werte für das Selbstwertgefühl waren für die 1617jährigen Mädchen wie für die Frauen einer weiteren Untersuchungsgruppe deutlich höher als die der männlichen Vergleichsgruppen: Das höchste Selbstwertgefühl hatten die „androgynen“ Frauen, die bei der zweipoligen M-F-Skala deutlich auf der männlichen Seite lagen: aber auch die „männlichen“ Frauen waren im Selbstwertgefühl den „männlichen“ Männern überlegen.
Diese Forschung deutet darauf hin, daß Mädchen und Frauen sich weniger stark geschlechtstypisch geprägt sehen als Jungen und Männer. ihr Selbstwertgefühl ist insgesamt etwas stärker – dazu tragen aber nur solche „weibliche“ Eigenschaften bei“ die auch bei Männern geschätzt werden. Männlichkeit – sowohl in der Form der allgemein für wünschenswert gehaltenen Eigenschaften, wie auch in den Aspekten, die bei Frauen mißbilligt werden – stärkt das Selbstwertgefühl von Frauen ebenso wie von Männern. Man möchte fast schließen, daß das normative Ideal für Frauen zwar hochgehalten aber von niemandem ernstgenommen wird.
In dieselbe Richtung weist eine wachsende Zahl von Untersuchungen, die Leistungen nicht nur nach Geschlecht, sonder nach dem Geschlechtsrollentyp analysieren. Beispielsweise stellten
Jamison/Signorella
(1980) bei einem von Piaget übernommenen Test fest, daß die Geschlechtsrollentypisierung die Leistung besser voraussagt als das Geschlecht per se. „Männliche“ Männer
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