Sozialisation: Weiblich - männlich?
werden.
Choderow
(1978) argumentiert überzeugend, daß schon, dieser Differenzierungsprozeß anders für Jungen und für Mädchen abläuft. Die Mutter lebt – mit welcher Haltung auch immer – im symbolischen System der Zweigeschlechtlichkeit und erlebt den Sohn als das andere Geschlecht. Dies vermittelt sie ihm, indem sie ihn eher dazu drängt, sich gegen sie zu behaupten. Wohlbemerkt gibt es dafür sehr verschiedene Möglichkeiten: Sie kann ihm mehr durchgehen lassen deshalb, oder aber auch ihm sein unschuldigstes Tun als böswillig auslegen und ihn häufiger zurechtweisen. Die im 2. Lebensjahr auftretende Beschäftigung des Jungen mit seinem Penis wird mit Ambivalenz behandelt – er ist zugleich sexuelles Wesen kraft des Penis und bloßes Kleinkind/Neutrum. Auch wenn die Mutter das sexuelle Potential des Penis für sich eher ablehnt, wird sie ihn nicht als belanglos und unbedeutend empfinden. So wird der Prozeß der Ich-werdung des Jungen als Abgrenzung gegen die erste Bezugsperson erfahren und sexualisiert.
Für die Mutter besteht hingegen keine Notwendigkeit, der Tochter zu vermitteln, daß sie etwas anderes ist; ihre psychische Abtrennung wird im günstigen Fall von der Mutter angenommen, aber nicht vorangetrieben. Das dialogische Moment tritt eher in den Vordergrund, aber die Tendenz besteht auch, die Grenze eher schwimmend zu belassen. Man kann diese Differenz auch von der Seite des Mißlingens her sehen: Nach welcher Seite hin wird eine mißglückte, unzureichende Differenzierung ausschlagen? Beim Sohn wird dies, so schließt Choderow aus klinischen Berichten, eher in die Richtung eines zu starken Drängens in die Abgrenzung geschehen, entweder indem er verstoßen wird, oder indem er zum Ersatzpartner genommen und so gebunden wird. Bei der Tochter hingegen liegen die Probleme meist in der Vereinnahme, im Verbot der Abgrenzung, so daß die Grenzen zwischen Tochter und Mutter verschwimmen. Aber auch eine liebevolle, gelungene Bewältigung dieser Phase wird unterschiedlich verlaufen. Dem Sohn werden Größenwahn und Trotz zugestanden, und die Mutter zögert einzugreifen, weil sie letztlich doch nicht weiß, wie weit sie sich wirklich in ihn hineinversetzen kann: Vielleicht ist es besser, ich lasse ihn, wie er will. Mit der Tochter wird im günstigen Fall eher eine Beziehung angestrebt, in der jeder Teil sich in den anderen hinein fühlt – wobei die Mutter gezielter daran arbeiten kann, weil sie sicherer ist, die Tochter zu verstehen (ob das objektiv zutrifft, ist hier ohne Belang; sie greift mit mehr Sicherheit vor und ein, weil sie zu verstehen glaubt, und erwartet mehr Verständnis vom Kind.) Schließlich wird die Herausbildung eines eigenen ich bei der Tochter nicht mit unbewußter sexueller Bedeutung besetzt – unabhängig davon, ob die Mutter heterosexuell oder lesbisch ist. Ob die Mutter eigene Sexualverdrängung im generellen Berührungsverbot äußert („Ich habe ihr gesagt, sie soll sich niemals da unten anfassen und niemals zulassen, daß jemand anders da drangeht!“) oder ob sie die Entdeckung der Klitoris durch die Tochter als „natürlich“ akzeptiert, die Geschlechtsteile haben keinen wesentlichen Anteil an der Verselbständigung und werden weniger beachtet. Denn nicht der Besitz der weiblichen Geschlechtsorgane sondern die Abwesenheit des Penis signalisiert die Geschlechtszugehörigkeit.
Die Unterschiedlichkeit in den Wegen zur Ichbildung prägt die weitere Entwicklung.
„Im Alter von drei bis fünf setzt sich der Junge vor allem mit dem Problem der Macht (er kämpft offen um seine Omnipotenzphantasien) und der Verbotsübertretung (die ihm ein Triumphgefühl verleiht, das keine Mißbilligung, Wut oder gar Strafe ihm vermiesen kann) auseinander. Das Mädchen setzt sich am heftigsten mit einer Abgrenzung von der Mutter auseinander: sie kämpft um die Autonomie. Dabei erringt sie oft ein stolzes Gefühl eher durch die Verinnerlichung von Verboten, indem sie schon von alleine weiß, aufpaßt, andere Kinder zurechtweist, verständig ist. Die Autonomie ist immer nur relativ, kann im nächsten Augenblick scheitern, wenn die Schwierigkeiten und Bedrohungen der Umwelt und des Losgelöstseins vom Schutz der Mutter ihr zu viel werden. Das Hochgefühl gelungener Selbständigkeit scheint viel angreifbarer zu sein, kein Sieg, sondern immer nur ein momentanes Gefühl.“
(Hagemann-White
1979, S. 71).
Im schwierigen Verlassen der geschützten Hilflosigkeit des Säuglingsalters werden
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