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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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kämpft, und nicht selten für die Mutter Verachtung demonstriert, reizt er sie dazu, ihn mit ihrer körperlichen Überlegenheit, mit Schlägen in die Grenzen zu verweisen, die ihm gerade unsicher sind. Noch häufiger greifen Väter zu Schlägen, vielleicht weil ihnen selbst unerträglich ist, daß der Sohn so lange infantil – der Weiblichkeit nahe – bleibt. Damit werden aber die Körpergrenzen nicht nur durch angenehme Empfindungen, sondern auch durch Schmerzen bestätigt. Dies bereitet eine größere Bereitschaft vor, sich in Box-und Ringkämpfe zu stürzen, um die gegenseitige Anerkennung unter Gleichaltrigen zu erfahren. So wird auch die Angst, sich weh zu tun, geringer: Aufgescheuerte Knie können dann in Kauf genommen werden.
    Diese Überlegungen würden es nahelegen, ein höheres Maß an aggressivem Verhalten bei Jungen im, Alter von zwei bis sechs als die logische Folge von zwei gesellschaftlichen Sachverhalten zu betrachten:
daß die primäre Pflege des Kleinkindes als Pflicht und Macht der Frau zugeteilt ist, und
daß der Mann mit der Industrialisierung sich zunehmend aus der Welt des Kleinkindes herausgesetzt hat. Mit seinem gesellschaftlichen Wesen ist er woanders, unsichtbar.
    Die Geschlechtsidentität des Jungen muß sich also durch Abgrenzung und Negation bestimmen, und kann und darf sich durch Herabsetzung der Frau/der Mutter entwickeln. 9 Während dieser Entwicklungsphase erfährt allerdings die Aggressivität eine allmähliche Funktionsveränderung; es werden Formen gefunden und geübt, die Erfolgserlebnisse vielfältiger Art vermitteln, und das aggressive Verhalten des Schuljungen wird schon recht häufig gezielt um des Erfolges willen, nicht mehr als blinder Wutausbruch gegen eine bedrohliche Übermacht eingesetzt.
    Eine weitere, folgenschwere Auswirkung der Struktur des männlichen Ortes im kulturellen System ist die Vermittlung der Männlichkeit durch doppelte Negation. Wir haben gesehen, daß Frauen kulturell durch das Fehlen des Penis definiert werden: Frau ist, wer kein Mann sein kann. Eine Frau ist Nicht-Mann. Dem Jungen aber wird seine Männlichkeit zunächst durch Abgrenzung von der Mutter vermittelt; und diese ihm am nächsten stehende Erwachsene ist das, was er nicht sein darf, um ein Mann zu werden. So wird sein Geschlecht als Nicht-Nicht-Mann bestimmt. Das ist kein bloßes Sprachspiel. Der Junge hat z. B. praktisch keine Gelegenheit, hervorragende Beispiele von männlichem Mut zu erleben. Ergreift er nun die Stereotype „Frauen sind ängstlich“, so wird ihm Ängstlichkeit zum Beweis, daß jemand kein Mann ist. Um sich und anderen zu beweisen, wie männlich er ist, wird er sich nun als „nicht-ängstlich“ vorstellen. Vielleicht faßt er demonstrativ eine Spinne an. Oder er handelt töricht, um zu zeigen, daß er keine Angst hat. Dies ist die Praxis der doppelten Negation. Positive Aneignung von Männlichkeit würde erfordern, daß der Junge sich an einen Mann anlehnt, der ihm deutlich Männliches (was immer wir darunter verstehen mögen) vorlebt. Das wäre dann möglich, wenn Väter in gleichem Maße für das Kind wirklich da wären. Das würde aber wiederum voraussetzen, daß die Polarisierung der Geschlechter aufgebrochen wird, so daß Mut und Angst dann nichts mehr mit einer Geschlechterhierarchie zu tun hätten. Männlichkeit hätte dann einen gänzlich anderen Inhalt. Durch gutes Zureden, daß die Männer in ihrer Freizeit mit ihren Söhnen spielen (oder auch: im Wald zelten) sollen, wäre die Grundstruktur der doppelten Negation nicht zu verändern.
    Zur inhaltlichen Ausgestaltung der Männlichkeit wendet sich der Junge gegen Ende der Kleinkindzeit an andere Jungen. Durch die Institution Schule wird die Gruppe der Gleichaltrigen besonders sichtbar; Jungen spielen aber nach einer Untersuchung von Lever mehr als Mädchen in altersheterogenen Gruppen
(Gilligan
1979, S. 434). „Peer group socialization“ wird eher durch den gemeinsamen Status – Kindheit und Geschlecht – als durch Jahrgangsgleichheit definiert. Man kann in der Praxis unschwer beobachten, wie die Gruppe der Jungen eine Eigendynamik entwickelt. Über ihre psychologische Wurzeln ist nicht allzuoft nachgedacht worden. Gemeinsam fühlen sich die Knaben stark genug, um Dinge anzustellen, die die Väter verbieten würden oder auch verboten haben (wobei Väter nun im weiteren Sinne die patriarchale Autorität bezeichnet); und in der Gruppe können sie sich stärker als die Mutter zeigen, indem sie sich ihr

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