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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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dem Maße, wie die Mutter die Hauptbezugsperson des Kleinkindes ist, vermittelt sie dem Kind die Erfahrung, daß sie Undurchsichtiges, Vorentschiedenes ihm entgegenhält; sie scheint zu verstehen und handelt trotzdem entgegengesetzt …“
(Hagemann-White
1979, S. 61).
    Für den Sohn ist dies ein mächtiges Motiv, sich mit männlichen Macht- und Autoritätsfiguren zu identifizieren: nicht nur, weil sie „auch Männer“ sind, wie Kohlberg meint, sondern weil herrschende Männer Aussichten hätten, die Macht der Mutter zu entkräften. Für die Tochter erscheint die Kontrolle der Mutter eher als unentrinnbar, deren Schutz aber als unsicher. Vor allem dann, wenn die Kinder allmählich anfangen könnten, auf eigene Faust loszugehen und die Welt für sich zu entdecken, werden die Grenzen der Macht der Mutter – die um ihre Tochter Angst hat – in der Form von Machtsetzungen, d. h. Verbote verschleiert. Erwachsen zu werden wird dem Mädchen nicht in der gleichen Weise als unausweichlich dargestellt wie dem Jungen. Für den Wunsch, die Mutter zu beherrschen, hat sie keine Möglichkeit der Identifikation, sondern kann allenfalls hoffen, den Vater oder mächtige Männer für sich einzunehmen. Und der Wunsch, die Mutter zu bestrafen, fällt je nach Geschlecht des Kindes unterschiedlich aus: Der Junge kann diese aggressiven Wünsche nach außen wenden, wenn er sie auf eine andere, etwas weniger bedrohliche Frau überträgt (manchmal sogar direkt gegen die Mutter); das Mädchen muß diese Wünsche in der Tendenz gegen sich selber wenden.
     

4. Der männliche und der weibliche Ort: Strukturunterschiede in der Aneignung der Zweigeschlechtlichkeit
    Die in der eigenen Kultur geltende symbolische Ordnung von Zweigeschlechtlichkeit anzueignen bedeutet, sie als Medium der Verständigung über Identität zu nehmen, sich selbst in dieser Ordnung zu orten. Unabhängig von der konkreten Haltung der Bezugspersonen zu den Normen und Erwartungen, die sich auf diese Ordnung beziehen, ist eine Selbstzuordnung als Mädchen oder Junge die Voraussetzung von Identität überhaupt. Die Aneignung des symbolischen Systems muß strukturell verschieden sein, je nachdem, ob das Subjekt dieser Aneignung den eigenen Ort als männlich oder weiblich annimmt. in dem Prozeß der Aneignung des Systems und nicht in den Merkmalen von Personen werden wir die Entstehung von Geschlechtsunterschieden suchen müssen.
    Um den Zusammenhang zwischen der unterschiedlichen Bedeutung der Primärbeziehungen, dem kulturellen System der Zweigeschlechtlichkeit, und einzelnen Befunden der empirischen Forschung herzustellen, wird im folgenden versucht, zuerst die psychische Entwicklung des Jungen, dann die des Mädchens bis zur Pubertät zu skizzieren; anschließend werden Bedeutung und Folgen der Pubertät selbst für Mädchen besprochen.
    Die allererste Ichbildung des Jungen wird in Abgrenzung gegen die Mutter vollzogen. Wie das Mädchen verbindet er die Macht der Mutter mit archaischen Gefühlen von Lust, Wohlsein, aber auch Scham, Abhängigkeit und Wut; hinzu kommt aber noch Angst vor Verlust der Grenzen. Diese Furcht vor Wiederverschlingung, vor einem Rückfall in die diffuse Einheit mit der Mutter, bedroht beim Jungen seine Geschlechtsidentität, ist daher mehr als eine Angst vor dem Scheitern der Selbständigkeit. Zudem läßt ihn das noch nicht voll begriffene kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit ahnen, daß es nicht genügt, den Penis einfach zu haben; man muß als Mann wirken, dem der Phallus zusteht. In der Sexualisierung der Ichabtrennung war angelegt, daß die Geschlechtlichkeit des Jungen sich irgendwie auf Frauen bezieht; aber zu große Nähe zur Frau bedroht sie zugleich.
    Das Ich des Jungen erscheint in der Altersphase drei bis fünf labiler, von mehr Angst und Unsicherheit vor Überwältigung oder Geringschätzung, und von mehr ausbruchartiger Aggressivität als beim Mädchen. Mit der Labilität sind aber harte Geduldsproben für die erziehende Person verbunden, die leicht zum eigenen Aggressionsausbruch, zum Schlagen reizen.
Theweleit
(1978) hat für den extremeren Fall des soldatischen Mannes nachgezeichnet, wie der Schmerz die unsicheren Ichgrenzen ersetzen kann, während die Furcht vor Auflösung erhalten und mit der Frau symbolisch verbunden bleibt. Elemente hiervon sind wahrscheinlich in den Interaktionen von Jungen mit ihren Müttern häufig: Wie der Junge seine Angst vor dem Rückfall in undifferenzierte Abhängigkeit überspielt, trotzt,

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