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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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entziehen. Eine wichtige Bindung scheint über den „imaginierten Vater“ zu laufen: die gemeinsame Vorstellung von Männlichkeit etwa in geteilter Begeisterung für Superman, Rummenigge o. ä. Die Gruppe bietet sowohl die praktische Chance, Befriedigung in der Freiheit von Erwachsenen-Normen und Kontrollen zu suchen, wie auch die psychische Chance, Unterstützung und Anerkennung in weiteren Schritten zur Selbständigkeit zu finden, ohne daß die Erinnerung an frühe Niederlagen und an die Hilflosigkeit des Kleinkindes wachgerufen wird. In diesem Sinne kann die Bande die Mutter ablösen.
    Da in geschlossenen Gruppierungen wie beispielsweise der Schulklasse der Anschluß an die Gruppe der Jungen für alle wichtig ist (bzw. der Ausschluß mit Spott oder Prügel zusätzlich belegt sein kann) wird das Bedürfnis nach Abgrenzung von Mädchen/Frauen für
alle
Jungen bestimmend, auch wenn sie individuell z. T. weniger davon tangiert sind. So werden für wichtig erachtete Bereiche, Spiele, Sportarten als „nur für Jungens“ bestimmt und Mädchen davon ausgeschlossen. Zugleich wird Männlichkeit begriffen als etwas, was sich auf Frauen bezieht; der einfache Ausschluß reicht nicht, es wird auch die Berührung gesucht. Die Form, die diese dann annehmen kann, hat Jessica
Benjamin
(1980) unter dem Stichwort „rationale Gewalt“ erläutert: Die Spannung zwischen Abgrenzung und Angewiesensein kann in einer Verletzung der Grenzen des Anderen Ausdruck finden. Anstelle des Ringens um gegenseitige Anerkennung beider Subjekte (etwa im Sinne Hegels) ermöglicht Gewalt eine Berührung, die sich vor allem abgrenzt, anders und überlegen bleibt. Rational ist sie, indem sie selbst die eigene Grenze setzt (ohne die ja die Zerstörung und wiederum der Verlust des Anderen erfolgen würde, oder der Widerstand und die Notwendigkeit, das Subjekt des Anderen anzuerkennen). Als gesellschaftlich vorgegebener Ausdruck der Männlichkeit wird die „rationale Gewalt“ schon am Anfang der Grundschulzeit von der Jungenbande probiert: gemeinsam werden einzelne Mädchen gejagt, dem Mädchen wird die Hose heruntergezogen, ihr wird die spätere Ehe oder die baldige Vergewaltigung angekündigt; und selbst bei der künftigen Ehe sind es typischerweise mehrere Jungen, die gleichzeitig ein Mädchen zum Objekt ihrer Verfolgung machen. Um die Jungenbande in die Flucht zu jagen, genügt allerdings ein Mädchen, das von sich aus zu küssen droht: Berührungen mit dem Weiblichen müssen von männlicher Seite initiiert/kontrolliert sein.
    Zahlreiche Beobachtungen weisen dahin, daß Jungen unausgeglichener, in ihrer Geschlechtsidentität unsicherer sind als Mädchen; selbst ihr Körperwachstum verläuft in Sprüngen und Schüben, und sie können mit ihren Aggressionen, aber auch mit ihrer Motorik schlechter umgehen, haben sich weniger „im Griff“.
    Hunt
(1980) entwickelt die These, daß diese relativen Nachteile unter anderem deswegen zu späterer Dominanz gewandelt werden, weil sie die Basis für einen überzogenen Antrieb zur Konkurrenz, zur Leistung und zur aggressiven Selbstbehauptung bilden. Wir sahen schon, daß die Schule hier Hilfestellung leistet; doch obwohl die pädagogische Absicht die beste ist, behält die erfolgreiche Männlichkeit im Kern Abwehrstruktur. Das schulische Lernen wird gemeistert (für die begünstigten Jungen), indem es in die psychischen Formen von Abgrenzung und Selbstbehauptung integriert wird, sodaß Schulleistungen für die älteren Jungen symbolisch schon sehr viel mehr bedeuten, als die Freude des Lernens und des Könnens. Oder aber es wird verweigert, und auch dies wird, wie
Willis
(1977) ausführlich zeigt, sexualisiert und als Chiffre für Männlichkeit schlechthin genommen. Der relative Nachteil der Mädchen im System der Ausbildung und des Berufszugangs besteht also – selbst wenn wir nur die Ebene des individuellen Verhaltens sehen – nur zur Hälfte aus dem Fehlen von Selbstvertrauen, etc. bei den Mädchen; zur anderen Hälfte besteht der Nachteil in dem
Überschuß
an Leistungs- und Konkurrenzbedürfnissen, die in der männlichen Subkultur auf dem Wege der „doppelte Negation“ gezüchtet werden. Mit „Chancengleichheit“ wäre dieses letztere Problem noch nicht gelöst.
    Sehen wir nun die Entwicklung des Mädchens auf der Folie einer männlich dominierten Welt. Ihre Ausgangslage ist in mancher Hinsicht günstiger, wobei zu vermuten ist, daß selbst der alte Nachteil, von Geburt an weniger erwünscht zu sein,

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