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Sozialisation: Weiblich - männlich?

Titel: Sozialisation: Weiblich - männlich? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Hagemann-White
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Homoerotik verstößt, sondern auch den Zusammenhalt der Gruppe sprengen würde. Bezugspunkt der Gruppe ist eine Neudefinition der Identität
des
Mädchens als sexueller Person, und dies ist es auch, was die Gruppe sprengt, wenn ein Mädchen einen Freund vorweisen kann.
    Die hormonellen Veränderungen, die die Pubertät einleiten, beginnen bei Mädchen heute durchschnittlich mit 11 Jahren. Die Menstruation setzt in der Regel mit 12 oder 13, aber nicht selten schon mit 10 oder 11 Jahren ein. In dieser Zeit erfahren Mädchen körperliche Veränderungen, die sie stark auf den eigenen Körper aufmerksam machen, und starke Einflüsse von den Medien und innerhalb der Jugendkultur setzen Maßstäbe dafür, wie diese Körperentwicklung äußerlich werden soll, um „attraktiv“ zu sein. Die Menstruation selbst wird vielfach als etwas Beschämendes behandelt, zumindest erfordert sie lästige Vorkehrungen und Aufmerksamkeiten, um nicht in Situationen größter Peinlichkeit zu geraten. Das Selbstwertgefühl kann durch eine Körperentwicklung, die nicht (oder noch nicht) den Normen bzw. den eigenen Wunschvorstellungen entspricht, nachhaltig beeinträchtigt werden. Insofern bringt die Zeit von circa elf bis vierzehn sicher einiges an körperlich bedingten Belastungen mit sich.
    Es gibt jedoch kaum Hinweise darauf, daß andere, psychologische oder kognitive Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen gerade in dieser Altersphase auftreten. Die Befragungsergebnisse, die ein Absinken des Selbstwertgefühls von Mädchen im Vergleich zu Jungen zeigen, stellen solche Unterschiede schon vor Beginn der Pubertät fest; man könnte sie vielleicht als Folge von einigen Jahren Schulerfahrung begreifen. So stellten
Gold
u.a. (1980) fest, daß nach dem 3. Schuljahr Unterschiede auftreten; Mädchen sehen sich nun weniger als intelligent und selbstbewußt, verglichen mit den Selbsteinschätzungen von Jungen. Die Untersuchungen von Leistungsunterschieden hingegen zeigen Unterschiede, die überwiegend zu einem späteren Zeitpunkt auftreten, wie wir im 1. Teil hinsichtlich der mathematischen und räumlichen Fähigkeiten sahen: erst ab 15 oder 16 werden solche Differenzen deutlich. Dies und die z. T. schon festgestellten Korrelationen zwischen „typischen“ Fähigkeiten und Orientierung an der Geschlechtsrolle (z. B.
Kaplan/Plake
1981) deuten darauf hin, daß die Beziehung der Leistungsunterschiede zur Pubertät sozialer Natur ist und daher erst mit zeitlicher Verzögerung auftritt.
    Mit der Pubertät beginnt eine Neudefinition der Identität der Mädchen unter starken Einflüssen der Gleichaltrigen; Autonomie gegenüber den Eltern, deren Kontrolle zunehmend als beengend empfunden wird, und Ablösung von der Mutter, aber auch die Perspektive eines lebenswerten eigenen Lebens scheinen gekoppelt an der Erreichung einer Liebesbeziehung zum „richtigen“ Mann. Die Mädchengruppe bietet nur eine vorübergehende Ausweichmöglichkeit vor diesem Ziel. Und in einer Kultur, die männliche Werte höher schätzt und eine gewisse männliche Überlegenheit als konstitutiv für die Mann-Frau-Beziehung setzt, bedeutet dies, daß das Mädchen sich nach den Maßstäben der Jungen ausrichten muß, nicht umgekehrt. in der Folge der Umorientierung der Identität verschlechtern sich z. T. die Schulleistungen der Mädchen.
    Die gesellschaftlichen Anforderungen an Frauen sind widersprüchlich. Die Entwicklung fester „Eigenschaften“ würde dem schlecht entsprechen. Dies mag erklären, warum es zu einer solchen Unterschiedlichkeit der Geschlechter im empirisch feststellbaren Verhaltenspotential nicht kommen kann, wie es die Stereotypen nahelegen. Es kann daher nicht unterstellt werden, daß Mädchen tatsächlich durch Drill zu dem gemacht werden, was die Stereotypen angeben: aufopferungs- und hilfsbereit, ordentlich, fleißig, pünktlich . . . (vgl.
Bellotti
1975). Zu viel Ordnung und rigide Maßstäbe führen dazu, wie Ann Oakley in ihren Interviews mit Hausfrauen am Extremfall aufzeigte, daß die Aufgaben als „Mutter“ kaum noch erfüllt werden können
(Oakley
1978); zu viel echtes Einfühlungsvermögen macht die Sozialarbeiterin unfähig, ihren Berufsalltag auszuhalten und ihre Fallzahl zu „schaffen“. Die weiblichen Eigenschaften können nur funktional für die tatsächliche Arbeitsteilung der Geschlechter sein, indem sie als situativ bedingte Verhaltensweisen angeeignet werden. Daß Mädchen sich eher situationsspezifisch und unter dem Eindruck der von

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