Sozialisation: Weiblich - männlich?
des Vaters durch die Söhne erklären. Noch einsichtiger ist dieser Zusammenhang bei Kindern, die deutlich danach streben, Vorschriften und Verbote abzuschütteln. Die Schwestern können sich aber nicht zusammenrotten um (in der Phantasie) die Mutter zu ermorden, weil ihnen gar nicht die Chance gegeben wird, sich zusammenzurotten d. h. unter sich zu sein; sie könnten es wahrscheinlich auch gar nicht eindeutig genug wollen, weil sie innerlich weniger abgegrenzt sind; und selbst wenn sie es täten, würden sie dann nicht den Vater besitzen, sondern allenfalls er sie. Diese Form von psychischer Gruppenbildung ist auf Mädchen schlechthin nicht übertragbar, kann in weiblicher Form nicht gedacht werden. Aber nicht nur die psychische Grundlage der Gruppenbildung, des Männerbundes, sondern auch die Folgen haben viel mit „männlicher Kultur“ zu tun. Abenteuer und Körperrisiko einerseits, formalrechtliches Denken, das keine Rücksicht auf die konkreten Bedürfnisse spezifischer Personen nimmt, andererseits, umreißen auch Hauptzüge dessen, was heute zunehmend als problematischer Männlichkeitswahn in Gesellschaft und Politik in Frage gestellt wird. Und solche Kritik ist nicht vollends neu, sondern der Kultur ebenfalls immanent. Die „männlichen“ Werte verweisen auf die „weiblichen“ als ihre tragende Grundlage und ihren notwendigen Ausgleich. So ist weder theoretisch noch in der subjektiven Erfahrung der heranwachsenden Mädchen die weibliche Kultur als Mangel zu bestimmen; sie erweist sich aber in der Konkurrenz um Ausbildung und Beruf faktisch als Nachteil.
Wohl aber wird Weiblichkeit als Einschränkung erfahren. Dies wird spätestens in der Pubertät deutlich. Obwohl die für die Pubertät typischen Einschränkungen recht häufig auch früher einsetzen, scheint dies zeitlich zu variieren und in der Regel eine Art Antizipation der Pubertät zu bedeuten, so daß im folgenden diese Vorgänge im Kontext der Pubertät besprochen werden.
Es handelt sich um Einschränkungen, die nun explizit spezifisch für Mädchen gesetzt werden (anders als der sanfte Druck am Ausgang der Kleinkindzeit, der sich eher noch auf den Kindstatus beruft), und die mehr oder weniger explizit die Gefährdung des Mädchens als sexuelles Wesen zum Inhalt haben. Nunmehr werden Aktivitäten verboten, die vorher noch erlaubt waren, und Grenzen gesetzt, die erkennbar für Jungen gleichen Alters nicht gelten.
In der Zeit der Pubertät wird die Gruppe der Gleichaltrigen gleichen Geschlechts für Mädchen ähnlich wichtig wie für Jungen in der Grundschulzeit. Und mit der Pubertät tritt auch eine stark ambivalente Haltung der Mutter zur Sexualität der Tochter zutage. Sie ist nicht mehr nur ein Neutrum, das vor dem ungeheuerlichen Mißbrauch eventueller Triebtäter zu schützen ist, wie die Schulanfängerin. Einschränkungen, Regeln des Beschützens, Aufklärung und Sorge gehen nunmehr von der Annahme aus, daß das Mädchen selbst sexuell aktiv werden könnte, ohne die Folgen für sich zu übersehen. Und die stärkeren Kontrollen setzen nicht nur untergründig voraus, daß das Mädchen sexuelle Wünsche hat; sie nehmen oft die Form an, sie in diese Richtung zu drängen, indem ihr z. B. nahegelegt wird, sich für männliche Blicke attraktiv zu machen. Die Gruppe der gleichaltrigen Mädchen schafft einerseits Möglichkeiten, der Aufsicht und Kontrolle zu entkommen, greift andererseits die verleugnete Seite der Ambivalenz auf. Während die Eltern auf Wahrung der Unschuld durch Verhaltenseinschränkungen drängen, drängt die Gruppe darauf, nun endlich sexuelle Wesen sein zu dürfen. Körperfetisch, Ästhetik des Schönseins und Schön-Machens für andere, Sexualisierung als Objekt für andere sind geeignet, eine gemeinsame Definition der Sexualität in der Gruppe herzustellen, während sexuelle Impulse per se nicht sonderlich gruppenfähig sind. Indem aber das sexuelle Selbstverständnis (gebrochen durch eine Kultur, in der die Frau sexuell als Objekt gilt) zum wesentlichen Thema der Gruppe wird und der Widerstand gegen die Einschränkungen der Eltern kristallisiert, gewinnt die Gruppe transitorischen Charakter.
Denn
das Ziel, vollwertiges sexuelles Wesen und daher von der Kontrolle der Eltern frei zu sein, ist selbst innerhalb der Mädchengruppe nicht erreichbar, es sei denn, sie kehrt die sexuelle Definition von innen nach außen und macht die sexuelle Selbstentdeckung vom Subjekt aus zum eigenen Abenteuer, was nicht nur gegen das Tabu der
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